• August Wilhelm von Schlegel to Luise von Voss

  • Place of Dispatch: Stralsund · Place of Destination: Berlin · Date: 10.06.1813
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Luise von Voss
  • Place of Dispatch: Stralsund
  • Place of Destination: Berlin
  • Date: 10.06.1813
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 292‒295.
  • Incipit: „[1] Stralsund d. 10t Jun. 1813
    Ich bin beschämt, gnädige Gräfin, daß Sie mir mit Ihrer Begrüßung zuvorgekommen sind. Doch nicht so [...]“
    Manuscript
  • Provider: Weimar, Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv
  • Classification Number: GSA 5/33
    Language
  • German
[1] Stralsund d. 10t Jun. 1813
Ich bin beschämt, gnädige Gräfin, daß Sie mir mit Ihrer Begrüßung zuvorgekommen sind. Doch nicht so ganz, wenn anders Hr. von Dewitz die Güte gehabt hat, meine mündliche Bestellung auszurichten. Daß ich nicht schrieb, möge die Unruhe, Verwirrung und mannichfaltige Spannung dieser drey Wochen entschuldigen. Die Züge, die Zeilen Ihres Briefes rufen das Bild der vollkommnen Liebenswürdigkeit einer deutschen Frau in mein Gemüth zurück, in einem Augenblicke wo es mich nur mit tiefer Wehmuth erfüllen kann. Denn es ist äußerst zweifelhaft ob ich mein geliebtes und unglückliches Vaterland nicht bald für immer werde meiden müssen. Durch Hrn. von Poten werden Sie die ganze Lage der Dinge erfahren. Welch ein Friede kann aus diesem Waffenstillstande hervorgehen? Wird die Vermittlung Österreichs etwas wirken, jetzt da man gesehen, daß es in dem entscheidenden Zeitpunkte zögerte und den Krieg scheute? Wird es entschlossen seyn, wenn Bonaparte in keinem Stücke nachgeben will, da sich das Kriegsglück schon gegen die Verbündeten entschieden? [2] Und selbst den besten Fall angenommen, wird der Krieg nicht mit großem Nachtheil wieder angefangen werden? Ich habe Mühe, nicht alles verlohren zu geben. Die Völker sind gut, das Deutsche vor allen, wenn es recht geleitet würde; aber die Regierungen sind meistens innerlich verfault. Die Schwäche der einen, die Falschheit der andern, die Verblendung einer dritten, der Eigensinn einer vierten, benutzt durch die Höllenkünste des großen Ungeheuers, haben die Hülfe fruchtlos gemacht, welche die Vorsehung uns wunderbarer Weise zu bieten schien, und Europa wieder bis nahe dahin zurückgeworfen, wo es vorigen Sommer in ängstlicher Erwartung stand. In Deutschland sind viel herrliche Beyspiele gegeben, viel edles Blut ist geflossen, viel Ehre wieder gewonnen, – aber die Stunde der Freyheit, fürchte ich, hat noch nicht geschlagen. Die Weltherrschaft ist schon so weit gediehen, die willkührliche Gewalt bis in ihre kleinsten Verzweigungen so meisterlich geordnet, die Kriegskunst wird mit so riesenhaften Massen gehandhabt, daß sich ein Volksaufstand nur unter dem Schutze großer Heere bilden, sich nur an diese mit Nachdruck anschließen kann. Trotz seiner Bergschluchten hat [3] Tyrol unterliegen müssen; Spanien wäre längst, vielleicht verödet, aber dennoch unterjocht, hielten es [nicht] die Engländer; Rußland haben seine Wüsteneyen, sein Winter und die kühne Wildheit seiner Bewohner geschützt. Und nun unser Deutschland, dessen sorgfältiger Anbau den Bewohner zähmt, ihn so fest an Haus und Hof fesselt! – Friede und Knechtschaft sind jetzt gleichbedeutende Namen.
Frau von Stael, nach der Sie sich erkundigen, ist auf dem Wege nach England. Ich gab es freywillig auf, sie dahin zu begleiten: ich wollte versuchen, ob ich nach meinen geringen Kräften zum Heile des Vaterlandes etwas mitwirken könnte. Nun kann es seyn, daß ich bald ihr nach dorthin verschlagen werde. Gewiß verdient Frau von Stael den Vorwurf nicht, daß sie mich meinem Vaterlande entführt habe. Nie habe ich aufgehört meine Gesinnungen mitzutheilen, so weit es die schmachvollen Zeiten erlaubten, wo man sagen mußte:
Doch brich, mein Herz! denn schweigen muß mein Mund.
Wozu hätte meine persönliche Gegenwart genutzt? Sobald sie einen Werth haben konnte, hat meine Freundin ihre eignen Wünsche zurückgestellt. [4] Überdieß erleidet diese edle Frau bloß ihrer unerschütterlichen Gesinnung wegen eine solche Verfolgung, daß es der Freyheit huldigen heißt, wenn man sich ihrem Schicksale verbindet. Vor zwey Jahren wurde ich aus Frankreich verbannt, weil Frau v. Stael ihr Buch über Deutschland durch meinen Einfluß in einem der Regierung so misfälligen Sinne abgefaßt habe; überhaupt als verdächtig. Doch redete ich nie mit Ungeweihten und hielt es überhaupt für weise zu schweigen, so lange man nicht handeln könne. Lieder, in Frankreich selbst gedichtet, könnten Ihnen beweisen, wie ich seit langen Jahren für die deutsche Sache glühte. Die Schweiz konnte mich nicht schützen, wenn man mich von dort vertreiben wollte; – sie ist nur ein Schatten der ehemals freyen Schweiz. Ich ermunterte Frau von Stael, die Unterdrückung nicht länger zu dulden: sie sey dieses Bespiel der Welt schuldig. Wir umkreisen Europa, um den Freyhafen Englands zu erreichen. Es war hohe Zeit: wir verließen Moskau vier Wochen vor seiner Zerstörung. In Schweden benutzte ich sogleich die Lage der Angelegenheiten, um einmal frey heraus vor der Welt zu sprechen. Ich schrieb französisch, weil meine Absicht war, in [5] Europa gelesen zu werden, was mir auch so ziemlich gelungen ist. Heißt das seiner Muttersprache untreu werden? Ich würde auch Hottentottisch schreiben, wenn ich Bonaparte damit Abbruch thun könnte. Sie werden in dieser kleinen Schrift auch Warnungen finden, vor allem dem, was uns jetzt wieder zu Grunde richtet. Nach diesem Schritte, sehen Sie wohl ein, kann ich nicht mehr in Deutschland leben, wenn es so bleibt wie es war; ich zweifle sogar, ob in den Österreichischen Staaten. Das Opfer ist groß, und ich wußte was ich that. Die Sehnsucht wird mich nie verlassen, und auch jenseit des Meeres werde ich nur für Deutschland leben und athmen.
Doch wir wollen diesen trüben Gedanken nicht allzu sehr nachhängen. Vielleicht wird man ja noch wieder zu den Waffen greifen dürfen, jeder zu den seinigen. Dann werden Sie die großen Eigenschaften des Kronprinzen von Schweden in vollem Glanze sehen. Nie hatte ich einem Fürsten gedient, aber dem Fortinbras von Norwegen bin ich gefolgt,
– – zu einem Unternehmen
Das Herz hat, –

[6] denn auf dem Throne liebt er die Freyheit der Völker, und strebt nach dem Ruhme sie zu beschirmen. Warum sind seine Mittel nicht so umfassend als sein Wille? Warum kann er nicht für Europa, für Frankreich selbst den Fehde-Handschuh hinwerfen, und den Feind Gottes und der Menschen persönlich bekämpfen? Stände er nur an der Spitze von hunderttausend Mann, wie er es müßte, wenn man ihm Wort gehalten hätte, so wäre die Welt gerettet.
Leben Sie tausendmal wohl, gnädige Gräfin – empfehlen Sie mich dem Andenken Ihres Gemahls der nun auch in seiner rühmlichen Laufbahn unterbrochen wird, und lassen Sie mich bald wieder von sich hören. Sollte ich während dieses unglückseligen Waffenstillstandes Urlaub zu einer Reise, vielleicht der letzten in Deutschland erhalten, so würde ich mir ein großes Fest daraus machen, Sie in Strelitz oder auf Ihrem Landgute zu besuchen. Leben Sie nochmals wohl.
Sie erkundigen sich nach Brinkmann. Leider kann ich ihnen keine sehr befriedigenden Nachrichten von ihm geben. Er ist äußerst kränklich, und wie es scheint, voller Besorgnisse über seinen [7] Zustand, wogegen er wohl auch nicht die rechten Mittel anwendet. Eine Zeitlang war er ganz außer Geschäften – jetzt höre ich, versieht er die Stelle des Hofkanzlers in dessen Abwesenheit. Ich wünsche ihm einen diplomatischen Posten in Deutschland – er kann in Schweden doch nicht recht arten, und seine Vorzüge werden nur halb anerkannt. Wenn er Ihnen nicht mehr schreibt, so kann ich wenigstens bezeugen, daß er Ihre Briefe als Kostbarkeiten verwahrt.
[8]
[1] Stralsund d. 10t Jun. 1813
Ich bin beschämt, gnädige Gräfin, daß Sie mir mit Ihrer Begrüßung zuvorgekommen sind. Doch nicht so ganz, wenn anders Hr. von Dewitz die Güte gehabt hat, meine mündliche Bestellung auszurichten. Daß ich nicht schrieb, möge die Unruhe, Verwirrung und mannichfaltige Spannung dieser drey Wochen entschuldigen. Die Züge, die Zeilen Ihres Briefes rufen das Bild der vollkommnen Liebenswürdigkeit einer deutschen Frau in mein Gemüth zurück, in einem Augenblicke wo es mich nur mit tiefer Wehmuth erfüllen kann. Denn es ist äußerst zweifelhaft ob ich mein geliebtes und unglückliches Vaterland nicht bald für immer werde meiden müssen. Durch Hrn. von Poten werden Sie die ganze Lage der Dinge erfahren. Welch ein Friede kann aus diesem Waffenstillstande hervorgehen? Wird die Vermittlung Österreichs etwas wirken, jetzt da man gesehen, daß es in dem entscheidenden Zeitpunkte zögerte und den Krieg scheute? Wird es entschlossen seyn, wenn Bonaparte in keinem Stücke nachgeben will, da sich das Kriegsglück schon gegen die Verbündeten entschieden? [2] Und selbst den besten Fall angenommen, wird der Krieg nicht mit großem Nachtheil wieder angefangen werden? Ich habe Mühe, nicht alles verlohren zu geben. Die Völker sind gut, das Deutsche vor allen, wenn es recht geleitet würde; aber die Regierungen sind meistens innerlich verfault. Die Schwäche der einen, die Falschheit der andern, die Verblendung einer dritten, der Eigensinn einer vierten, benutzt durch die Höllenkünste des großen Ungeheuers, haben die Hülfe fruchtlos gemacht, welche die Vorsehung uns wunderbarer Weise zu bieten schien, und Europa wieder bis nahe dahin zurückgeworfen, wo es vorigen Sommer in ängstlicher Erwartung stand. In Deutschland sind viel herrliche Beyspiele gegeben, viel edles Blut ist geflossen, viel Ehre wieder gewonnen, – aber die Stunde der Freyheit, fürchte ich, hat noch nicht geschlagen. Die Weltherrschaft ist schon so weit gediehen, die willkührliche Gewalt bis in ihre kleinsten Verzweigungen so meisterlich geordnet, die Kriegskunst wird mit so riesenhaften Massen gehandhabt, daß sich ein Volksaufstand nur unter dem Schutze großer Heere bilden, sich nur an diese mit Nachdruck anschließen kann. Trotz seiner Bergschluchten hat [3] Tyrol unterliegen müssen; Spanien wäre längst, vielleicht verödet, aber dennoch unterjocht, hielten es [nicht] die Engländer; Rußland haben seine Wüsteneyen, sein Winter und die kühne Wildheit seiner Bewohner geschützt. Und nun unser Deutschland, dessen sorgfältiger Anbau den Bewohner zähmt, ihn so fest an Haus und Hof fesselt! – Friede und Knechtschaft sind jetzt gleichbedeutende Namen.
Frau von Stael, nach der Sie sich erkundigen, ist auf dem Wege nach England. Ich gab es freywillig auf, sie dahin zu begleiten: ich wollte versuchen, ob ich nach meinen geringen Kräften zum Heile des Vaterlandes etwas mitwirken könnte. Nun kann es seyn, daß ich bald ihr nach dorthin verschlagen werde. Gewiß verdient Frau von Stael den Vorwurf nicht, daß sie mich meinem Vaterlande entführt habe. Nie habe ich aufgehört meine Gesinnungen mitzutheilen, so weit es die schmachvollen Zeiten erlaubten, wo man sagen mußte:
Doch brich, mein Herz! denn schweigen muß mein Mund.
Wozu hätte meine persönliche Gegenwart genutzt? Sobald sie einen Werth haben konnte, hat meine Freundin ihre eignen Wünsche zurückgestellt. [4] Überdieß erleidet diese edle Frau bloß ihrer unerschütterlichen Gesinnung wegen eine solche Verfolgung, daß es der Freyheit huldigen heißt, wenn man sich ihrem Schicksale verbindet. Vor zwey Jahren wurde ich aus Frankreich verbannt, weil Frau v. Stael ihr Buch über Deutschland durch meinen Einfluß in einem der Regierung so misfälligen Sinne abgefaßt habe; überhaupt als verdächtig. Doch redete ich nie mit Ungeweihten und hielt es überhaupt für weise zu schweigen, so lange man nicht handeln könne. Lieder, in Frankreich selbst gedichtet, könnten Ihnen beweisen, wie ich seit langen Jahren für die deutsche Sache glühte. Die Schweiz konnte mich nicht schützen, wenn man mich von dort vertreiben wollte; – sie ist nur ein Schatten der ehemals freyen Schweiz. Ich ermunterte Frau von Stael, die Unterdrückung nicht länger zu dulden: sie sey dieses Bespiel der Welt schuldig. Wir umkreisen Europa, um den Freyhafen Englands zu erreichen. Es war hohe Zeit: wir verließen Moskau vier Wochen vor seiner Zerstörung. In Schweden benutzte ich sogleich die Lage der Angelegenheiten, um einmal frey heraus vor der Welt zu sprechen. Ich schrieb französisch, weil meine Absicht war, in [5] Europa gelesen zu werden, was mir auch so ziemlich gelungen ist. Heißt das seiner Muttersprache untreu werden? Ich würde auch Hottentottisch schreiben, wenn ich Bonaparte damit Abbruch thun könnte. Sie werden in dieser kleinen Schrift auch Warnungen finden, vor allem dem, was uns jetzt wieder zu Grunde richtet. Nach diesem Schritte, sehen Sie wohl ein, kann ich nicht mehr in Deutschland leben, wenn es so bleibt wie es war; ich zweifle sogar, ob in den Österreichischen Staaten. Das Opfer ist groß, und ich wußte was ich that. Die Sehnsucht wird mich nie verlassen, und auch jenseit des Meeres werde ich nur für Deutschland leben und athmen.
Doch wir wollen diesen trüben Gedanken nicht allzu sehr nachhängen. Vielleicht wird man ja noch wieder zu den Waffen greifen dürfen, jeder zu den seinigen. Dann werden Sie die großen Eigenschaften des Kronprinzen von Schweden in vollem Glanze sehen. Nie hatte ich einem Fürsten gedient, aber dem Fortinbras von Norwegen bin ich gefolgt,
– – zu einem Unternehmen
Das Herz hat, –

[6] denn auf dem Throne liebt er die Freyheit der Völker, und strebt nach dem Ruhme sie zu beschirmen. Warum sind seine Mittel nicht so umfassend als sein Wille? Warum kann er nicht für Europa, für Frankreich selbst den Fehde-Handschuh hinwerfen, und den Feind Gottes und der Menschen persönlich bekämpfen? Stände er nur an der Spitze von hunderttausend Mann, wie er es müßte, wenn man ihm Wort gehalten hätte, so wäre die Welt gerettet.
Leben Sie tausendmal wohl, gnädige Gräfin – empfehlen Sie mich dem Andenken Ihres Gemahls der nun auch in seiner rühmlichen Laufbahn unterbrochen wird, und lassen Sie mich bald wieder von sich hören. Sollte ich während dieses unglückseligen Waffenstillstandes Urlaub zu einer Reise, vielleicht der letzten in Deutschland erhalten, so würde ich mir ein großes Fest daraus machen, Sie in Strelitz oder auf Ihrem Landgute zu besuchen. Leben Sie nochmals wohl.
Sie erkundigen sich nach Brinkmann. Leider kann ich ihnen keine sehr befriedigenden Nachrichten von ihm geben. Er ist äußerst kränklich, und wie es scheint, voller Besorgnisse über seinen [7] Zustand, wogegen er wohl auch nicht die rechten Mittel anwendet. Eine Zeitlang war er ganz außer Geschäften – jetzt höre ich, versieht er die Stelle des Hofkanzlers in dessen Abwesenheit. Ich wünsche ihm einen diplomatischen Posten in Deutschland – er kann in Schweden doch nicht recht arten, und seine Vorzüge werden nur halb anerkannt. Wenn er Ihnen nicht mehr schreibt, so kann ich wenigstens bezeugen, daß er Ihre Briefe als Kostbarkeiten verwahrt.
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