• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Leipzig · Place of Destination: Amsterdam · Date: 04.07.1792
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Leipzig
  • Place of Destination: Amsterdam
  • Date: 04.07.1792
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 53‒56.
  • Incipit: „[1] Das Hinderniß, welches mich so lange hat warten lassen, ist das erwünschteste, und Dein muntrer fast muthwilliger Brief hat mich [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34186
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.a,Nr.12
  • Number of Pages: 10 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19 x 11,8 cm
    Language
  • German
[1] Das Hinderniß, welches mich so lange hat warten lassen, ist das erwünschteste, und Dein muntrer fast muthwilliger Brief hat mich alles vergessen lassen. Ueberdem war ich nicht ohne Besorgniß für einen Rückfall. Meine Neugier ist ganz rege, und ich sehe mit Ungeduld Deinem nächsten Briefe entgegen – dessen Inhalt ich itzt vergebens zu erdenken suche. Sage indessen der S.[ophie] meinen schönsten Dank für die gegebene Erlaubniß; sie wird dafür auch einen sehr schönen Platz in meiner Seele bekommen, da sie Dir anhängt. Besonders aber wünschte ich ihr dafür danken zu können, daß sie Dich liebt, und grade itzt. – Nichts konnte Dir wohlthätiger seyn. – Du wirst nicht verlangen, daß ich noch mehr darüber sage, da Du <nur> einige ziemlich dunkle Zeilen darüber hinwirfst. Desto mehr verspre[2]che ich, wenn ich erst unterrichtet seyn werde. Was das Gedicht betrifft, so gehört wohl doch mehr dazu, um es zu verstehen, als zu wissen, daß sie vortreflich singt – wenigstens müssen wahrscheinlich einige ‚schweigende Umfängeʻ vorhergegangen seyn ehe man Harmonieen fühlt. Das andre ist fast italiänisch, besonders das letzte Terzett; das erste Quartett weniger. Das deutsche gehört unter Deine besten. –
Es freut mich daß Dir mein eignes Gemählde treffend geschienen. Es war nur eine augenblickliche hingeworfene Laune, deren Inhalt mir ganz entfallen. Ueberall ist dieses Verhältniß zu sich selbst meiner Art und meinen Gesinnungen <eigentlich> entgegen. Verstehe mich recht – eine launichte Ansicht kann uns vielleicht zu einer Entdeckung <über uns selbst helfen>, wenn aber sie herrschend ist, wenn jemand sich selbst ein Spielwerk oder ein Buffon ist, der ist verloren und hingegen, wer sich selbst [3] liebt, der ist auf dem Wege etwas großes zu werden. – Du hast einige treffende Bemerkungen <über mich> gemacht. Doch die kleinen Dinge mache ich weit besser, als in Gött[ingen] und welches sind denn die großen Dinge, die Du von mir hoffst? – Ich werde noch lange immer werden doch scheint mirs als könnte ich itzt die Bahn, die ich noch zu durchlaufen habe, gleichsam schon übersehen. – Ich glaube, daß ich mich auch im Ernst treffend darstellen könnte.
Was gebückt an der Erde fortschleicht, läßt sich wohl durch Ton und Wort gefangen nehmen; aber auch Geist?
‚Leicht wie Aether schlüpft er fort.ʻ Ein ächter Geist trägt das Haupt stolz empor, und das thut auch der, den ich meyne – er filzt die Natur aus, wenn sie ihm nicht gehorcht – was von ihm kömmt und um ihn ist, soll jedes <in seiner Art> das beste und edelste [4] seyn.
‚Das schönste Leinenzeug, ein seiden Kleid Mit etwas Stickereyʻ, das trägt er gern. Hätte er doch gern etwas zarteres als Worte zum Organ seiner Gedanken. – Es ist die Art der Geister den Verstand der Forschenden zu verwirren – und dieser verläugnet auch hier seine Abkunft nicht. Er ist ein ahndender und auch ihn kann man oft nur ahnden. Verzweiflung und Muthwillen, Pedanterie und Grundsatzlosigkeit, romantischer Muth und zarte Menschlichkeit, die feinsten Gefühle und Frevel der Laune oder Bitterkeit gehen in stetem Wechsel aus ihm hervor; und es ist auch ein feiner Zusammenhang in dem allen. – Was ist mit ihm zu machen? – Frage Deine Weiber. Ich werde ihnen mein Herz öffnen.
[5] Meine Briefe haben nun doch einmal die Gestalt – einer göttlichen Comödie – und so will ich nun nicht vergeblich suchen, Ordnung hineinzubringen. Du magst <selbst> zusehen ob was folgt in die Hölle oder ins Fegefeuer gehört, eine Auswahl junger Geister der neugebohrnen Bücher.
Wir wenden (gewiß einmüthig) unsre Blicke zuerst auf den Geist eines unvollendeten, unerforschlichen aber geistvollen Werkes. Der Künstler desselben (Jacobi; denn ich rede von Allwills Briefsammlung) ist mir dadurch zuerst merkwürdig geworden. Ich verstehe das Werk nicht; doch ist <mir schon itzt> klar, daß das Gefühl unsrer göttlichen, höheren Natur <in uns> es ganz durchdringt, die Seele desselben ist. Unbeschreibliches Vergnügen machten mir die Weiber besonders Amalia und Luzie.
[6] Bouterweck sagt der Welt in einer Vorrede, daß sie eigentlich den Donamar nicht verdiene und nicht verstehe. Doch hat er den zweiten Theil aus Huld drucken lassen. Fr.[au] v. Berl[epsch] tritt in den Schatten, desto heller an das Licht, ein weiblicher Giuliano, des wahren Geliebte und auch Donamars. Dieser Knoten muß nun noch im dritten Bande gelößt werden. – Boutterw[ek] liest Collegia – doch Du weißt gewiß von Gött.[ingen] mehr als ich.
Ich mache Dich aufmerksam auf die beyden ersten Stücke der neuen Thalia. Sie enthalten die Anwendung kantischer Philosophie auf die Dichtkunst von Schiller. Der Werth eines Kunstwerks wird bestimmt nach dem Grade <wie sehr> die Freiheit d. h. Sittlichkeit dadurch in Thätigkeit gesetzt wird; indem der Grad der Wirksamkeit der Spontaneität und des Vergnügens gleich seyn sollen. –
[7] Der vierte Band zerstreute Blätter enthält persische Sittensprüche, die mir gleichgültig waren; schöne Gedanken einiger Bramanen, eine gute Abhandlung über Sakontala, und über die <stille> Unsterblichkeit, die durch Thätigkeit zum Guten, Schönen und Wahren erreicht wird; und einige herrliche Gedanken über das Schicksal so vieler sich selbst zu überleben. Herder wandelt dießmal oft oben im Aether; er nimmt allmählig die erhabene Ruhe eines Bramanen an. Aber mit dieser erhabenen Geberde sagt er über große Dinge nicht selten etwas geringfügiges. Vom übrigen nächstens.
Mein Lieber, Du kannst mir vielleicht eine große Verlegenheit und meinen Eltern eine unangenehme Stunde ersparen. Ich habe noch einen Posten bey Bornemann, welcher Karl bey Gelegenheit, daß Du das Dei[8]nige bezahlt, erinnert hat, und mir auch itzt noch einen Mahnbrief geschrieben. Wenn ich ihn nun nicht bald bezahle, so möchte er an meinen Vater schreiben, und doch ist es mir unmöglich von meinem Quartal zu bestreiten. Wenn Du also ohne Beschwerde 30 Thl. entbehren kannst, so wäre es mir sehr lieb. Ich hoffe es Dir bald wieder geben zu können; auf allen Fall bleibt Dir der Regreß an meine Eltern. – Es muß Dir aber gar nicht unbequem seyn. – Kannst Du und willst Du, so schickst Du es mir hierher.
[9] Du hast ein vielsagendes Versprechen gethan; ‚Ich will den Sommer über Dein seyn.ʻ – Mein bist Du noch nie gewesen. Ich muß doch sehen, wie Du das meynst – denn das was etwa die Weiber übrig lassen, wirst Du doch so hoch nicht anrechnen?
Nun, ich fasse Dich beym Wort.
F. S.
Den 4ten Jul. 92.
[10]
[1] Das Hinderniß, welches mich so lange hat warten lassen, ist das erwünschteste, und Dein muntrer fast muthwilliger Brief hat mich alles vergessen lassen. Ueberdem war ich nicht ohne Besorgniß für einen Rückfall. Meine Neugier ist ganz rege, und ich sehe mit Ungeduld Deinem nächsten Briefe entgegen – dessen Inhalt ich itzt vergebens zu erdenken suche. Sage indessen der S.[ophie] meinen schönsten Dank für die gegebene Erlaubniß; sie wird dafür auch einen sehr schönen Platz in meiner Seele bekommen, da sie Dir anhängt. Besonders aber wünschte ich ihr dafür danken zu können, daß sie Dich liebt, und grade itzt. – Nichts konnte Dir wohlthätiger seyn. – Du wirst nicht verlangen, daß ich noch mehr darüber sage, da Du <nur> einige ziemlich dunkle Zeilen darüber hinwirfst. Desto mehr verspre[2]che ich, wenn ich erst unterrichtet seyn werde. Was das Gedicht betrifft, so gehört wohl doch mehr dazu, um es zu verstehen, als zu wissen, daß sie vortreflich singt – wenigstens müssen wahrscheinlich einige ‚schweigende Umfängeʻ vorhergegangen seyn ehe man Harmonieen fühlt. Das andre ist fast italiänisch, besonders das letzte Terzett; das erste Quartett weniger. Das deutsche gehört unter Deine besten. –
Es freut mich daß Dir mein eignes Gemählde treffend geschienen. Es war nur eine augenblickliche hingeworfene Laune, deren Inhalt mir ganz entfallen. Ueberall ist dieses Verhältniß zu sich selbst meiner Art und meinen Gesinnungen <eigentlich> entgegen. Verstehe mich recht – eine launichte Ansicht kann uns vielleicht zu einer Entdeckung <über uns selbst helfen>, wenn aber sie herrschend ist, wenn jemand sich selbst ein Spielwerk oder ein Buffon ist, der ist verloren und hingegen, wer sich selbst [3] liebt, der ist auf dem Wege etwas großes zu werden. – Du hast einige treffende Bemerkungen <über mich> gemacht. Doch die kleinen Dinge mache ich weit besser, als in Gött[ingen] und welches sind denn die großen Dinge, die Du von mir hoffst? – Ich werde noch lange immer werden doch scheint mirs als könnte ich itzt die Bahn, die ich noch zu durchlaufen habe, gleichsam schon übersehen. – Ich glaube, daß ich mich auch im Ernst treffend darstellen könnte.
Was gebückt an der Erde fortschleicht, läßt sich wohl durch Ton und Wort gefangen nehmen; aber auch Geist?
‚Leicht wie Aether schlüpft er fort.ʻ Ein ächter Geist trägt das Haupt stolz empor, und das thut auch der, den ich meyne – er filzt die Natur aus, wenn sie ihm nicht gehorcht – was von ihm kömmt und um ihn ist, soll jedes <in seiner Art> das beste und edelste [4] seyn.
‚Das schönste Leinenzeug, ein seiden Kleid Mit etwas Stickereyʻ, das trägt er gern. Hätte er doch gern etwas zarteres als Worte zum Organ seiner Gedanken. – Es ist die Art der Geister den Verstand der Forschenden zu verwirren – und dieser verläugnet auch hier seine Abkunft nicht. Er ist ein ahndender und auch ihn kann man oft nur ahnden. Verzweiflung und Muthwillen, Pedanterie und Grundsatzlosigkeit, romantischer Muth und zarte Menschlichkeit, die feinsten Gefühle und Frevel der Laune oder Bitterkeit gehen in stetem Wechsel aus ihm hervor; und es ist auch ein feiner Zusammenhang in dem allen. – Was ist mit ihm zu machen? – Frage Deine Weiber. Ich werde ihnen mein Herz öffnen.
[5] Meine Briefe haben nun doch einmal die Gestalt – einer göttlichen Comödie – und so will ich nun nicht vergeblich suchen, Ordnung hineinzubringen. Du magst <selbst> zusehen ob was folgt in die Hölle oder ins Fegefeuer gehört, eine Auswahl junger Geister der neugebohrnen Bücher.
Wir wenden (gewiß einmüthig) unsre Blicke zuerst auf den Geist eines unvollendeten, unerforschlichen aber geistvollen Werkes. Der Künstler desselben (Jacobi; denn ich rede von Allwills Briefsammlung) ist mir dadurch zuerst merkwürdig geworden. Ich verstehe das Werk nicht; doch ist <mir schon itzt> klar, daß das Gefühl unsrer göttlichen, höheren Natur <in uns> es ganz durchdringt, die Seele desselben ist. Unbeschreibliches Vergnügen machten mir die Weiber besonders Amalia und Luzie.
[6] Bouterweck sagt der Welt in einer Vorrede, daß sie eigentlich den Donamar nicht verdiene und nicht verstehe. Doch hat er den zweiten Theil aus Huld drucken lassen. Fr.[au] v. Berl[epsch] tritt in den Schatten, desto heller an das Licht, ein weiblicher Giuliano, des wahren Geliebte und auch Donamars. Dieser Knoten muß nun noch im dritten Bande gelößt werden. – Boutterw[ek] liest Collegia – doch Du weißt gewiß von Gött.[ingen] mehr als ich.
Ich mache Dich aufmerksam auf die beyden ersten Stücke der neuen Thalia. Sie enthalten die Anwendung kantischer Philosophie auf die Dichtkunst von Schiller. Der Werth eines Kunstwerks wird bestimmt nach dem Grade <wie sehr> die Freiheit d. h. Sittlichkeit dadurch in Thätigkeit gesetzt wird; indem der Grad der Wirksamkeit der Spontaneität und des Vergnügens gleich seyn sollen. –
[7] Der vierte Band zerstreute Blätter enthält persische Sittensprüche, die mir gleichgültig waren; schöne Gedanken einiger Bramanen, eine gute Abhandlung über Sakontala, und über die <stille> Unsterblichkeit, die durch Thätigkeit zum Guten, Schönen und Wahren erreicht wird; und einige herrliche Gedanken über das Schicksal so vieler sich selbst zu überleben. Herder wandelt dießmal oft oben im Aether; er nimmt allmählig die erhabene Ruhe eines Bramanen an. Aber mit dieser erhabenen Geberde sagt er über große Dinge nicht selten etwas geringfügiges. Vom übrigen nächstens.
Mein Lieber, Du kannst mir vielleicht eine große Verlegenheit und meinen Eltern eine unangenehme Stunde ersparen. Ich habe noch einen Posten bey Bornemann, welcher Karl bey Gelegenheit, daß Du das Dei[8]nige bezahlt, erinnert hat, und mir auch itzt noch einen Mahnbrief geschrieben. Wenn ich ihn nun nicht bald bezahle, so möchte er an meinen Vater schreiben, und doch ist es mir unmöglich von meinem Quartal zu bestreiten. Wenn Du also ohne Beschwerde 30 Thl. entbehren kannst, so wäre es mir sehr lieb. Ich hoffe es Dir bald wieder geben zu können; auf allen Fall bleibt Dir der Regreß an meine Eltern. – Es muß Dir aber gar nicht unbequem seyn. – Kannst Du und willst Du, so schickst Du es mir hierher.
[9] Du hast ein vielsagendes Versprechen gethan; ‚Ich will den Sommer über Dein seyn.ʻ – Mein bist Du noch nie gewesen. Ich muß doch sehen, wie Du das meynst – denn das was etwa die Weiber übrig lassen, wirst Du doch so hoch nicht anrechnen?
Nun, ich fasse Dich beym Wort.
F. S.
Den 4ten Jul. 92.
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