• Caroline von Schelling to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Jena · Place of Destination: Pillnitz · Date: 19. [o.M., 1797]
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Caroline von Schelling
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Jena
  • Place of Destination: Pillnitz
  • Date: 19. [o.M., 1797]
  • Notations: Absende- und Empfangsort sowie Datum (Jahr) erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 370515684
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 428‒432 u. S. 719‒720 (Kommentar).
  • Incipit: „[Anfang, 2 Blätter, fehlt.]
    ... Geschichte schreiben, ihm ebenfalls recht wieder zu Gut kommt.
    Die Hufland hat vorgestern fast die ganze [...]“
    Language
  • German
[Anfang, 2 Blätter, fehlt.]
... Geschichte schreiben, ihm ebenfalls recht wieder zu Gut kommt.
Die Hufland hat vorgestern fast die ganze Rolle der Julie aus Gotters Oper gesungen; die Musik ist sehr edel nach meinem Gefühl. In die Oper selbst ist nichts vom Geist des Originals übertragen. Die Liebenden kommen mir immer wie Julie und St. Preux darinn vor ‒ die sich ‒ Mad. de Stael mag es anders sagen ‒ ein wenig nach Grundsäzen liebten. Sh. Julie ist so jung, so aufrichtig glühend. Dort haben wir eine moralische, hier eine romantische Leidenschaft. Darinn gleicht Romeo dem St. Pr., daß er seinen Schmerz nicht verhehlen und nicht bemeistern kan. Wer aber würde dieses auch von dem Jüngling fordern? Was dem Manne ziemt, weiß der Mönch wohl, aber auch, daß er in die Luft redet und nur die Amme erbauen wird, doch vergingen darüber einige Minuten, in denen sich der verzweifelnde sammeln und dann auf den reellen Trost des tröstenden horchen konte, der ihm eine Julia zusagt, wies die Philosophie nicht konte. Romeos milde Festigkeit wird bei andern Gelegenheiten sichtbar. Seine Tapferkeit sucht keinen Streit, auch ohne Liebe scheint er über den Haß hinaus zu seyn ‒ diese läßt ihn eine Beleidigung verschmerzen. Der Tod des edlen Freundes nur wafnet seinen Arm.
Im ersten Ausbruch von beyder Verzweiflung sind unstreitig ‒ wir mögens uns so sanft vorsagen wie wir wollen, lieber Freund ‒ einige Sh-rische Härten und Unschönheiten ‒ aber dagegen ist es auch wieder himmlisch, wie in dem Abschiedsauftritt die Freuden der Liebe den wilden Kummer gebrochen haben ‒ wie wehmüthig, hofnungsvoll und unglückahndend zugleich sie aus ihnen spricht. Du wirst nicht unterlaßen zu bemerken, daß in diesem Auftritt ganz vorzüglich die poetische Schönheit mit dem einfachsten Ausdruck eines zerrißnen Gemüthes verschmolzen ist. Die erste Unterredung im Garten hat einen romantischern Schwung, aber sie hat auch eben solche Ausdrücke der innigsten Zärtlichkeit, wie sie unmittelbar dem Herzen und der von Liebe erfüllten Phantasie entschlüpfen. Romeo ist nicht mehr niedergeschlagen ‒ Die Hofnung, die blühende jugendliche Hofnung hat sich seiner bemächtigt ‒ fast frölich wartet er auf Nachricht. Er nennt das selbst nachher den lezten Lebensbliz. Dergleichen Züge gehören ganz Shakesp. Ich weiß niemand, der ihm darinn ähnlich wäre ‒ das sind solche, womit er die Seelen der Menschen umwendet. ‒ Was Romeo nun hört, das verwandelt auch wie ein Bliz sein Inners ‒ zwey Worte ‒ und er ist zum Tode entschloßen, entschloßen in die Erde hinabzusteigen, die ihn kaum noch so schwebend trug.
Den nächsten Auftritt find ich sehr gut, auch nicht etwa das Ganze unterbrechend. Hier ist eine Spur vom Ton des Hamlet ‒ der könte so geendet haben, wenn er Gift zu kaufen nöthig gehabt hätte.
Laß Romeos lezte Szene für sich selbst reden ‒ merke nur an, wie verschieden die Todtenfeier des treuen Bräutigams von der des Geliebten ist, wie gelaßen er seine Blumen streut. Und dann, daß Romeos Edelmuth auch hier hervorbricht, wie ein Stral aus düstern Wolken, da er über dem in Unglück verbrüderten die lezten Segensworte spricht. Ich kann deswegen auch nicht fragen, war es nöthig, daß diese gute Seele hingeopfert wurde, und Romeo noch einen Menschen umbringt? Paris ist eine durchaus nothwendige Person im Stück ‒ und eine solche, denen im Leben und Sterben wohl ist. ‒ Von einer gewißen Oeconomie (vortreflicher) neuerer Stücke ‒ Lessings Stücke sind so eingerichtet ‒ wo alles überflüßig scheinende erspaart wird, und auch oft Personen nur erwähnt, nicht dargestellt werden, wo jedes so genau berechnet ist, daß kein Wort wegfallen darf, ohne Nachtheil des Ganzen, wußte Sha. freylich nichts. Er war so freygebig wie die Natur, der man zuweilen auch müßige Rollen und unnöthige Begebenheiten vorwerfen möchte. ‒ Es ist viel, daß er Rosalinden nicht erscheinen läßt, da es ihm auf einen mehr oder weniger gar nicht ankomt. ‒ Vielleicht könte Rosalinde ganz wegfallen, ohne Schaden des Stücks. Und doch pflegt man, je tiefer man in den Gang eines Shak. Stücks eindringt, desto mehr Harmonie und Nothwendigkeit, so daß man sich zulezt nichts nehmen lassen mag, zu entdecken (Cimbelyne wird diese Freude schwerlich gewähren; es ist wenig Zusammenhang darinn, nur die Ausführung einzelner Sachen schmelzend schön).
Die Geschichte, die Fabel ist nicht sein eigen, heißt es oft. Der Geist ists immer. Der rohe Plan, und der Geist, wie ich hier immer den feinern Plan nennen will, sind sehr verschieden. So wie Hamlet jezt ist, ist er Sh. eigenste Schöpfung (wie wir längst wißen). Ich bilde mir ein, es ist eher vortheilhaft für das Genie, nicht stets zugleich zu erfinden und auszuführen. Sollte nicht eben die Fremdheit des rohen Stoffs zu Schönheiten Anlaß geben, indem das weniger Zusammenhängende in dem, was der Dichter vorfindet, durch die Behandlung erst wahre Einheit gewinnt? und diese, wo sie sich mit scheinbaren Wiedersprüchen zusammen findet, bringt den wundervollen Geist hervor, dem wir immer neue Geheimniße ablocken, und nicht müde werden, ihn zu ergründen. (Wenn Ihr Euch nur versteht, ich begreif es recht gut). Ich entsinne mich nicht der Legende von Hamlet, aber vermuthlich war das Ende wie im Trauerspiel, daß der Zufall die Rache übernimt mehr wie Hamlet. Und wem sind wir dann den Hamlet schuldig? ‒ Im Romeo fand Sh. weit mehr Stoff vor, und ist ihm sehr treu gefolgt, aber wie ist er sein eigen geworden. Die Charaktere helfen der Geschichte nach und bringen die lebendigste Wahrscheinlichkeit hinein. ‒ Die Heftigkeit des Vaters, das Gemeine im Betragen beyder Eltern ist sehr anstößig, allein es rettet Julien von dem Kampf zwischen Leidenschaft und kindlicher Liebe, und von allem Tadel. Jener wäre hier gar nicht an seiner Stelle gewesen (wie er es allerdings in dem moralischen Liebeshandel der nouvelle Heloise war). Dieser bleibt nun lediglich Johnsons Strenge überlaßen (denk an die Note). Das muß ich sagen, alle Schimpfwörter des Vaters sind mir nicht so anstößig als der Mutter Wort: I would the fool were married to her grave. So was übersezt ich nun so gern weg. Ist es nur ein pöbelhaft gedankenloser Ausdruck ‒ warum sollte mans nicht thun dürfen? Selten wird sich solch eine Gelegenheit zur Untreue finden. In Margarethens Munde (King Richard III.) will ich keinen Fluch unterdrücken, und auch Lady Macbeth mag sagen: ich weiß, wie süß es ist, ein Kind an eigner Brust zu tränken (et cetera), statt ‒ ich habe keine Kinder (et cetera) Aber Mislaute wie jener, wo sonst alles so harmonisch ist, thun weh.
Den Merkutio und die Amme, die man auch ihrer eignen schwazhaften Zunge überlassen kann, magst Du allein behalten.
Und ob Romeo und Julie ein Trauerspiel ist, mögt Ihr beyden ausmachen.

Dienstag 19ten,
Heute muß ich etwas von Dir hören. Mein guter Freund, wie läßt mich die Hofnung des Tages Last so leicht ertragen.
Gestern bin ich wieder mit 40 bis 50 Menschen zusammen gewesen, ohne deß froh zu werden. Nun hat der
[Schluß fehlt.]
[Anfang, 2 Blätter, fehlt.]
... Geschichte schreiben, ihm ebenfalls recht wieder zu Gut kommt.
Die Hufland hat vorgestern fast die ganze Rolle der Julie aus Gotters Oper gesungen; die Musik ist sehr edel nach meinem Gefühl. In die Oper selbst ist nichts vom Geist des Originals übertragen. Die Liebenden kommen mir immer wie Julie und St. Preux darinn vor ‒ die sich ‒ Mad. de Stael mag es anders sagen ‒ ein wenig nach Grundsäzen liebten. Sh. Julie ist so jung, so aufrichtig glühend. Dort haben wir eine moralische, hier eine romantische Leidenschaft. Darinn gleicht Romeo dem St. Pr., daß er seinen Schmerz nicht verhehlen und nicht bemeistern kan. Wer aber würde dieses auch von dem Jüngling fordern? Was dem Manne ziemt, weiß der Mönch wohl, aber auch, daß er in die Luft redet und nur die Amme erbauen wird, doch vergingen darüber einige Minuten, in denen sich der verzweifelnde sammeln und dann auf den reellen Trost des tröstenden horchen konte, der ihm eine Julia zusagt, wies die Philosophie nicht konte. Romeos milde Festigkeit wird bei andern Gelegenheiten sichtbar. Seine Tapferkeit sucht keinen Streit, auch ohne Liebe scheint er über den Haß hinaus zu seyn ‒ diese läßt ihn eine Beleidigung verschmerzen. Der Tod des edlen Freundes nur wafnet seinen Arm.
Im ersten Ausbruch von beyder Verzweiflung sind unstreitig ‒ wir mögens uns so sanft vorsagen wie wir wollen, lieber Freund ‒ einige Sh-rische Härten und Unschönheiten ‒ aber dagegen ist es auch wieder himmlisch, wie in dem Abschiedsauftritt die Freuden der Liebe den wilden Kummer gebrochen haben ‒ wie wehmüthig, hofnungsvoll und unglückahndend zugleich sie aus ihnen spricht. Du wirst nicht unterlaßen zu bemerken, daß in diesem Auftritt ganz vorzüglich die poetische Schönheit mit dem einfachsten Ausdruck eines zerrißnen Gemüthes verschmolzen ist. Die erste Unterredung im Garten hat einen romantischern Schwung, aber sie hat auch eben solche Ausdrücke der innigsten Zärtlichkeit, wie sie unmittelbar dem Herzen und der von Liebe erfüllten Phantasie entschlüpfen. Romeo ist nicht mehr niedergeschlagen ‒ Die Hofnung, die blühende jugendliche Hofnung hat sich seiner bemächtigt ‒ fast frölich wartet er auf Nachricht. Er nennt das selbst nachher den lezten Lebensbliz. Dergleichen Züge gehören ganz Shakesp. Ich weiß niemand, der ihm darinn ähnlich wäre ‒ das sind solche, womit er die Seelen der Menschen umwendet. ‒ Was Romeo nun hört, das verwandelt auch wie ein Bliz sein Inners ‒ zwey Worte ‒ und er ist zum Tode entschloßen, entschloßen in die Erde hinabzusteigen, die ihn kaum noch so schwebend trug.
Den nächsten Auftritt find ich sehr gut, auch nicht etwa das Ganze unterbrechend. Hier ist eine Spur vom Ton des Hamlet ‒ der könte so geendet haben, wenn er Gift zu kaufen nöthig gehabt hätte.
Laß Romeos lezte Szene für sich selbst reden ‒ merke nur an, wie verschieden die Todtenfeier des treuen Bräutigams von der des Geliebten ist, wie gelaßen er seine Blumen streut. Und dann, daß Romeos Edelmuth auch hier hervorbricht, wie ein Stral aus düstern Wolken, da er über dem in Unglück verbrüderten die lezten Segensworte spricht. Ich kann deswegen auch nicht fragen, war es nöthig, daß diese gute Seele hingeopfert wurde, und Romeo noch einen Menschen umbringt? Paris ist eine durchaus nothwendige Person im Stück ‒ und eine solche, denen im Leben und Sterben wohl ist. ‒ Von einer gewißen Oeconomie (vortreflicher) neuerer Stücke ‒ Lessings Stücke sind so eingerichtet ‒ wo alles überflüßig scheinende erspaart wird, und auch oft Personen nur erwähnt, nicht dargestellt werden, wo jedes so genau berechnet ist, daß kein Wort wegfallen darf, ohne Nachtheil des Ganzen, wußte Sha. freylich nichts. Er war so freygebig wie die Natur, der man zuweilen auch müßige Rollen und unnöthige Begebenheiten vorwerfen möchte. ‒ Es ist viel, daß er Rosalinden nicht erscheinen läßt, da es ihm auf einen mehr oder weniger gar nicht ankomt. ‒ Vielleicht könte Rosalinde ganz wegfallen, ohne Schaden des Stücks. Und doch pflegt man, je tiefer man in den Gang eines Shak. Stücks eindringt, desto mehr Harmonie und Nothwendigkeit, so daß man sich zulezt nichts nehmen lassen mag, zu entdecken (Cimbelyne wird diese Freude schwerlich gewähren; es ist wenig Zusammenhang darinn, nur die Ausführung einzelner Sachen schmelzend schön).
Die Geschichte, die Fabel ist nicht sein eigen, heißt es oft. Der Geist ists immer. Der rohe Plan, und der Geist, wie ich hier immer den feinern Plan nennen will, sind sehr verschieden. So wie Hamlet jezt ist, ist er Sh. eigenste Schöpfung (wie wir längst wißen). Ich bilde mir ein, es ist eher vortheilhaft für das Genie, nicht stets zugleich zu erfinden und auszuführen. Sollte nicht eben die Fremdheit des rohen Stoffs zu Schönheiten Anlaß geben, indem das weniger Zusammenhängende in dem, was der Dichter vorfindet, durch die Behandlung erst wahre Einheit gewinnt? und diese, wo sie sich mit scheinbaren Wiedersprüchen zusammen findet, bringt den wundervollen Geist hervor, dem wir immer neue Geheimniße ablocken, und nicht müde werden, ihn zu ergründen. (Wenn Ihr Euch nur versteht, ich begreif es recht gut). Ich entsinne mich nicht der Legende von Hamlet, aber vermuthlich war das Ende wie im Trauerspiel, daß der Zufall die Rache übernimt mehr wie Hamlet. Und wem sind wir dann den Hamlet schuldig? ‒ Im Romeo fand Sh. weit mehr Stoff vor, und ist ihm sehr treu gefolgt, aber wie ist er sein eigen geworden. Die Charaktere helfen der Geschichte nach und bringen die lebendigste Wahrscheinlichkeit hinein. ‒ Die Heftigkeit des Vaters, das Gemeine im Betragen beyder Eltern ist sehr anstößig, allein es rettet Julien von dem Kampf zwischen Leidenschaft und kindlicher Liebe, und von allem Tadel. Jener wäre hier gar nicht an seiner Stelle gewesen (wie er es allerdings in dem moralischen Liebeshandel der nouvelle Heloise war). Dieser bleibt nun lediglich Johnsons Strenge überlaßen (denk an die Note). Das muß ich sagen, alle Schimpfwörter des Vaters sind mir nicht so anstößig als der Mutter Wort: I would the fool were married to her grave. So was übersezt ich nun so gern weg. Ist es nur ein pöbelhaft gedankenloser Ausdruck ‒ warum sollte mans nicht thun dürfen? Selten wird sich solch eine Gelegenheit zur Untreue finden. In Margarethens Munde (King Richard III.) will ich keinen Fluch unterdrücken, und auch Lady Macbeth mag sagen: ich weiß, wie süß es ist, ein Kind an eigner Brust zu tränken (et cetera), statt ‒ ich habe keine Kinder (et cetera) Aber Mislaute wie jener, wo sonst alles so harmonisch ist, thun weh.
Den Merkutio und die Amme, die man auch ihrer eignen schwazhaften Zunge überlassen kann, magst Du allein behalten.
Und ob Romeo und Julie ein Trauerspiel ist, mögt Ihr beyden ausmachen.

Dienstag 19ten,
Heute muß ich etwas von Dir hören. Mein guter Freund, wie läßt mich die Hofnung des Tages Last so leicht ertragen.
Gestern bin ich wieder mit 40 bis 50 Menschen zusammen gewesen, ohne deß froh zu werden. Nun hat der
[Schluß fehlt.]
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