• Sophie Bernhardi to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: München · Place of Destination: Chaumont-sur-Loire · Date: 26.05.1810
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Sophie Bernhardi
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: München
  • Place of Destination: Chaumont-sur-Loire
  • Date: 26.05.1810
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 129‒135.
  • Incipit: „[1] München den 26 ten Mai 1810
    Theuerster Freund
    So groß meine Sehnsucht ist Ihre Briefe volständig zu beantworten, so weiß ich doch [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: APP2712-Bd-5
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,20,10
  • Number of Pages: 16 S. auf Doppelbl. u. 2 S., hs. m. U.
  • Format: 17,7 x 11,2 cm
    Language
  • German
[1] München den 26 ten Mai 1810
Theuerster Freund
So groß meine Sehnsucht ist Ihre Briefe volständig zu beantworten, so weiß ich doch nicht ob es meine Kräfte erlauben werden, den[n] Ihr leztes Schreiben hat mich sehr krank angetroffen, und ich schreibe diese Antwort mit höchster Anstrengung im Bette. Je übler aber der Zustand meiner Gesundheit wird, je nothwendiger finde ich eine weitläuftige Antwort, damit nicht im Falle meines Todes ein Misverständniß Ihrem Herzen zurückbleibt, welches Gefühl selbst meinen Tod erschweren würde, und dennoch muß ich die große Bewegung meines Herzens fürchten der ich nicht gebiehten kann.
Ich bin gezwungen einige Zeit in meinem traurigen Leben zurückzugehen um Ihnen einige Umstände zu melden die ich Ihnen, theils aus schonender Freund[2]schaft verschwieg, theils weil ich jedesmal so oft ich es berühren wolte, von einer so heftigen Verzweiflung ergriffen [wurde] die auch jezt mein Herz zerreißt, und meinen Zustand verschlimmert, die ich aber überwinden muß, damit Sie deutlich einsehen, welche Vorsicht Sie mir in Ihrem Betragen, in Rücksicht auf mich schuldig sind.
Sie wissen nur im allgemeinen mein geliebter Freund den Ausgang meines Prozesses mit Bernhardi, ich bin gezwungen mehr ins Einzelne zu gehen. Mein Prozeß ist auf eine Weise entschieden, welche ewig die Preusische Gerichtsbarkeit anklagen wird. Sie wissen daß sich Bernhardi die niederträchtigsten Beschuldigungen gegen meinen Lebenswandel erlaubt hat, so wie über die Vernachlässigung meiner Kinder nicht nur sondern auch einer höchst grausamen Behandlung ihrer die ich theils selbst ausübte, theils von andern duldete, und diese Beschuldigungen grün[3]dete er auf das Zeugniß liederlicher Mägde, und auf Fichte. Meine Zeugnisse die ich für das Gegentheil von der Erzherzogin, Frau v. Stael, Hardenberg, und andern ähnlichen Personen beibrachte wurden von der Berlinischen Gerichtsbarkeit verworfen, unter den seltsamen Vorwande, daß ich mich in Gegenwart dieser Personen natürlich wohl gut betragen würde, diese also meinen Lebenswandel nicht wissen könten, wohl aber Mägde die immer um mich gewesen wären. Auf meine Gründe welche ich aufstelte, um Bernhardis Zeugen zu verwerfen, und die sehr triftig waren wurde nicht Rücksicht genommen, sondern im Gegentheil ich noch Beschuldigt ich habe die liederliche Mine derer Sie sich wohl noch erinnern bloß deshalb aus dem Hause gejagt weil sie dem B[ernhardi] meine schändliche Verbindung mit Ihnen habe entdeken wollen. Diese Mine bezeugt nun nach B[ernhardis] Aussage, den[n] [4] so sehr hat man B[ernhardi] begünstigt, daß man seine Zeugen nicht einmal gerichtlich abgehört hat, daß sie uns beide oftmals in den unzweideutigsten Stellungen überrascht, diese Stellungen werden so detaillirt beschrieben, daß ich es nicht wiederhohlen mag, auf dies sogenante Zeugniß nun, wurde mein Nahme so entsezlich beschimpft, daß ich als des Ehebruchs mit Ihnen so gut wie überwiesen von Ihn geschieden wurde und man die Kinder B[ernhardi] zusprach.
Könten Sie mein theurer Freund nach dieser öffentlichen Beschimpfung die ohne Ihre Schuld um Ihrentwillen [ich] erleiden mußte, nun noch irgendeinen Schrit thun, welcher nur so ausgelegt werden könte, von irgendeinem Menschen als sei Grund in dieser Beschuldigung, dan mein theurer geliebter Freund könte ich nicht mehr glauben daß die innigste Freundschaft, und die zärtlichste Hochachtung unsere Verbin[5]dung geknüpft hätte, und der Trost welchen mein Herz in der Erinnerung an Ihre grosmüthige Liebe findet würde verschwinden, ich würde daß wie ein Verbrechen betrachten, wofür mich der Himmel bestrafen wolte was in tausend unglücklichen Stunden mein Trost war.
Ich schreibe in vielen Absätzen und mit großer Anstrengung daß werden Sie wohl dem Briefe ansehen. Das Urtheil wurde mir mitgetheilt, und wie gewöhnlich 6 Wochen Frist zur Appellation vergönt, die ich sogleich überreichte und während dieser Zeit meinte ich vollkommen sicher zu sein, plözlich erschien B[ernhardi] mit der Volmacht zur Exekution, welche so abgefaßt war als hätte ich den Prozeß in aller Form, in allen drei Instanzen verlohren, dies war ihm möglich geworden weil er, wahrscheinlich durch Geld, meinen Advokaten bewogen hatte auszusagen, wenn das Urtheil nicht nach meinem Sinn ausfiehle würde ich mich wohl dem Ausspruch entziehen, und mit meinen Kindern nach [6] Corsicka gehen. Dieser Unsinn war hinlänglich mich elend zu machen. Sie sehen daraus daß die Richter Advokaten Zeugen und Vormünder B[ernhardis] Freunde waren. Hätte ich können in Wien bleiben so hätte die Sache vieleicht eine andere Wendung genommen, allein mein Unglück wolte daß B[ernhardis] Bevolmächtigter in Wien ein Freund der Subalternen von der Polizei, und man benuzte die Zeit der Kröhnung in Ungarn wo alle meine Beschützer entfernt waren um mich von Wien zu entfernen. Ihr Bruder kann darüber die beste Auskunft geben wie unmöglich mir das Bleiben gemacht wurde. Nach Rom zu gehen mangelte mir theils das Geld, theils hatten meine ehemaligen Beschützer zu der Zeit dort keine Stimme, und der Französische Gesandte welcher mir seinen Beistand versprach hatte sich entfernt.
Hier blieb mir nun nichts übrig um [7] mir wenigstens ein Kind zu retten als den für meine Ehre nachtheiligen Schrit zu thun und mich mit B[ernhardi] zu vergleichen, dadurch war ich aber gezwungen alle Appellation aufzugeben, und so jede Beschimpfung als gerecht auf meinen Nahmen haften zu lassen.
Nach allem diesem frage ich Sie geliebter Freund ob Sie es für möglich halten Ihren Bruder in unsere Angelegenheit zu mischen, und auf irgend eine Weise eine Veranlassung zu geben, die meine Ehre noch ferner kränckte. Halten Sie es für möglich so beschwöre ich sie dennoch Ihren Vorsatz aufzugeben, weil es den lezten Schatten von Glück, die Ruhe aus meinem Herzen verbannen würde. Sie wissen nicht geliebter Freund wie grausam, wie ganz ich das eine Kind verlohren habe, um mir das andere zu erhalten. Es wurde zwar mit B[ernhardi] ausgemacht daß wir uns gegenseitig von den Kindern Nachricht geben wolten [8] aber wie bald wurde dies unmöglich, statt mir Nachricht von Wilhelm zu geben benuzte er diese Gelegenheit nur mir die gröbsten Schmähungen auf die niedrigste Weise zu schreiben ohne fast nur des Kindes zu gedenken. Dan wolte er den Vergleich benutzen mir die Bezalung seiner Schulden zuzuschieben, so daß seine Gläubiger mich unter erbärmlichen Vorwänden verklagen mußten, mir blieb nichts übrig als mich an seinen Vater zu wenden. Daß hatte aber die nothwendige Folge daß aller Briefwechsel zwischen uns gänzlich aufhörte, seitdem weiß ich nichts von Wilhelm. Noch aus einem andern Grunde ist mir dieser Sohn völlig verlohren. Bei B[ernhardis] Denkensart können Sie sich ja leicht vorstellen daß er alle Liebe zu mir im Herzen des Kindes vertilgen wird. Sie können ja wohl denken, daß er, da er weiß wie ich meine Kinder liebe, und wie mich das schmerzen muß [9] ihm das verächtlichste Bild von mir beibringen [wird], so daß er ihm in mehr als einen Sinn eine Mutter entreißt. Dan kann ich es auch um Felix willen nicht wünschen daß beide Brüder sich vor ihren Erwachsenen Jahren wiedersehen. Auf Felix hatte der gewaltsame Auftrit wodurch mir Wilhelm entrißen wurde, den entsezlichsten Eindruck gemacht. Er haßt und verabscheut B[ernhardi] von ganzer Seele, und da dieser sich gern gefallen ließ so lange er in München blieb, den Kindern seinen Zusammenhang mit ihnen zu verschweigen so ist Felix sehr weit entfernt ihn nur zu ahnden, und bei seinem tiefen Gemüth würde eine solche Entdeckung die nachtheiligsten Folgen für ihn haben. In meiner Verzweiflung sahe ich es mit Freuden wie Felix so rein von dem Ungeheuer blieb, daß er ihm keinen Kuß ja nicht einmal die Hand gab.
Ich möchte Ihnen viel über Felix [10] schreiben, weil ich weiß wie theuer Ihnen dieses Kind ist, aber mir versagen die Kräfte. Seine Geisteskräfte sind weit über sein Alter, und seine Bildung verspricht einen vollkommen schönen Mann. Der nagende Kummer das Wilhelm so ganz meinem Herzen entrißen ist, hat endlich den schlimsten Einfluß auf meine Gesundheit geäussert, Sie wissen daß ich immer an Brustübeln litt, diese haben sich so verschlimmert, daß ich schon seit einiger Zeit Blut mit Eiter vermischt auswerfe, die Ärzte sind der Meinung wenn ich diesen Sommer ein Eisenbad brauchen kann daß ich vieleicht wiederhergestelt werde, wenn daß aber nicht geschieht daß ich dan gewiß sterbe weil dan das Brustübel sich so verschlimmern würde daß keine Eisenkuhr mehr gebraucht werden dürfte. Können Sie nach diesem Ausspruch der Ärzte es für übertrieben halten wenn [11] ich meinen Tod nahe glaube? Um deswillen mein geliebter Freund habe ich so sehnlich gewünscht Sie noch einmal vor Ihrer Reise zu sprechen, um über Felix Erziehung mit Ihnen Rücksprache zu nehmen und Ihnen dan einen Brief für Felix zuzustellen, welchen Sie ihm geben sollen wenn Sie seinen Verstand reif gefunden hätten. Dieser Brief solte die hauptsächlichsten Begebenheiten meines und seines Lebens enthalten, und seinem Herzen lehren waß es kindlich zu verehren, und wovon es sich mit dreistem Muth abwenden kann. Ich werde diesen Brief versiegelt meinem Bruder Friedrich übergeben, welcher ihn Ihnen zustellen soll, den[n] aus Ihrer Hand soll ihn Felix empfangen, solten aber auch Sie zu frühe sterben, so muß es meinem Bruder überlassen bleiben ihn Felix zu geben. Für die Zukunft meines Kindes habe ich in Weltlicher [12] Hinsicht keine Sorge. Es scheint das Schicksall will nur mich jede Art des Elends prüfen lassen, denn wenn sich meine Augen schliessen dann werden bessere Sterne regieren. Durch eine sonderbahre Verkettung der Umstände ist unsere Unternehmung in Rom so gehemt worden biß nun M. de Girando selbst die Sümpfe besucht und sie ganz vortreflich befunden hat, jezt wird sie auf alle Weise sehr von der Französischen Regierung unterstüzt, so daß sie sehr einträglich werden wird, wenn ich diese Welt verlasse. Sie wissen selbst wie Knorring seit acht Jahren mit der zärtlichsten Ergebenheit mir Reichtum, eine glänzende Laufbahn, kurz jeden äussern Schimmer, mit der rührendsten Resignation in der Blühte seiner Jugend aufgeopfert hat. Jezt hält er mich von andern Banden frei, können Sie ihn tadeln wenn sein Herz nun Hoffnungen hegt? Er wagt es sich [13] nicht zu sagen wie schlim mein Zustand ist, und meint ein Bad werde alles gut machen. Ist es nicht traurig daß ich so gegen meine Schuld jede Hoffnung täuschen muß? Aber wenn ich auch sterbe so bürgt mir Knorrings Charackter dafür daß es kein leeres Wort ist daß Felix immer einen väterlich gesinten Freund an ihm behält, und daß nie eine andere Verbindung und andere Kinder dies Verhältniß stöhren werden. Knorrings schönste Hoffnung war es das einst Sie Ihre Bemühungen mit den unsrigen vereinigen würden, und das Felix daß seltne Glück geniessen würde seine Bildung einem Geiste wie dem Ihrigen zu verdanken, und der ihn dabei mit der väterlichsten Zärtlichkeit liebte. Knorring selbst unterrichtet ihn viel und Ihren Beistand hatten wir uns für sein reiferes Alter versprochen.
Ich kann Ihnen theuerster Freund nicht alles so schreiben wie ich möchte weil ich das Fieber zu starck habe, und meine Brust mich sehr schmerzt. Ich bitte Sie mir diesen Brief sogleich zu beant[14]worten, wenn es auch nur mit wenigen Worten ist, weil biß Ihre Antwort komt mein Herz keine Ruhe kent. Nur bitte ich Sie in der Wahl der Worte vorsichtig zu sein. Durch zu häufiges Weinen um Wilhelms Verlust habe ich ein Übel nach meinen Augen gezogen, welches bei jeden heftigen Anfall von Krankheit schlimmer [wird] so daß ich oft so erblindet bin, daß ich mir alle Briefe muß vorlesen lassen. Dieser Zustand war als Ihr lezter Brief kam, und Knorring der ihn mir vorlaß konte nicht begreifen warum er einen so heftigen Eindruck auf mich machte und wundert sich, daß ich ihn troz meiner Kranckheit drei Tage nacheinander so weitläuftig beantworte. Rauben Sie mir mein zärtlich schwesterlich geliebter Freund nicht das lezte Glück, Knorrings volles Vertrauen, melden Sie mir mein theurer Freund daß Sie nach meinen Wünschen handlen wollen, und ich kann ruhig sein.
Daß ich Ihren vorlezten Brief nicht so[15]gleich beantwortete geschahe weil wir immer noch ein Mittel zu finden hofften Sie selbst in Frankreich zu sehen, aber alle meine sehnlichsten Wünsche sind vergeblich. Waß unsere Beweglichkeit sehr hemt ist, daß nun schon seit anderthalb Jahren der Bruder Ludwig völlig von der Gicht gelähmt bei uns ist. Sie kennen seinen Charackter also brauche ich Ihnen nicht zu sagen daß auch darauß eine Quelle unsäglicher Leiden für mich entspringt.
Daß Sie mein geliebter Freund mit solcher Bitterkeit gegen meinen Bruder Friedrich erfült sind, verursacht mir den tiefsten Schmerz. Wie oft haben wir gemeinschaftlich über den unglücklichen Zug in seinem Charackter gesprochen, daß er alle Dienge mit unglaublicher Langsamkeit verzögert, aber deshalb haben Sie ihn doch nie eines Mangels an Freundschaft oder der Undankbarkeit beschuldigt. Ich glaube Sie selbst mein theurer Freund fühlen sich nicht glücklich, sonst könten Sie nicht so bitter gegen Ihre Freunde [16] sein. Glauben Sie mir daß mein Bruder oft ganz vernichtet ist von dem Gefühl daß er so großes Unrecht gegen Sie hat. Jezt hoffe ich sind Sie einigermaßen mit ihm ausgesöhnt, den[n] Fr[au] v. St[aël] wird nun längst das Bild haben welches er von Zürich absenden wolte. Waß Schelling anbetrift so glaube ich daß er bloß einen Vorwand gesucht hat um das Geld baar zu erhalten und das Monument aufzugeben. Troz alles Treibens konte es mein Bruder nie dahin bringen daß sie sich für einen von seinen Vorschlägen entschieden hätten. Endlich sagte ihm Caroline einmal sie wolte nun lieber für dies Geld ein Bild von Wagner mahlen lassen. Der Bruder welcher seine Verpflichtung gegen Sie kante wolte es gern mit dem Monument durchsetzen biß so alberne Gespräche über seinen Eigennutz entstanden, daß er es mußte fallen lassen. Nach Carolinens Tode wolte Schelling gern das Denkmal für Auguste in eins für Caroline umwandeln, auch damit wolte der Bruder einverstanden sein, wenn Sie es zufrieden wären. Nun begreife ich nicht wie Schelling daß Geld zurückfodern kann, doch weiß ich nicht waß darüber in Stutgard noch vorgefallen ist den[n] der Bruder hatt mir [17] nichts darüber geschrieben. Wenn Schelling dieß als ein Freundschaftliches Übereinkommen betrachtet, so begreife ich nicht wie er es hat fodern können, und noch weniger wenn er [es] als einen Theil von Carolinens Vermögen behandelt der noch in Ihren Händen, den[n] da sie ohne Testament gestorben ist so hat er alles waß sie zurückgelassen hat, biß auf daß Geräth in der Küche ihren Verwandten zurückgeben müssen, und wenn diese Ihre Zahlung an ihn erfahren, so muß er auch dies zurückstellen.
Ich bin so entkräftet daß ich nichts mehr schreiben kann, und zu kranck um Felix schreiben zu lassen. Er hat Ihnen schon vor einiger Zeit geschrieben ich kann aber seinen Brief nicht aus meinen Papieren suchen, weil ich nicht aufstehen kann. Gewiß vergisst Sie keiner von uns und wir alle lieben Sie mit der innigsten Zärtlichkeit besonders aber ich die ich ewig bleibe
Ihre
S[ophie] Tieck
[18]
[1] München den 26 ten Mai 1810
Theuerster Freund
So groß meine Sehnsucht ist Ihre Briefe volständig zu beantworten, so weiß ich doch nicht ob es meine Kräfte erlauben werden, den[n] Ihr leztes Schreiben hat mich sehr krank angetroffen, und ich schreibe diese Antwort mit höchster Anstrengung im Bette. Je übler aber der Zustand meiner Gesundheit wird, je nothwendiger finde ich eine weitläuftige Antwort, damit nicht im Falle meines Todes ein Misverständniß Ihrem Herzen zurückbleibt, welches Gefühl selbst meinen Tod erschweren würde, und dennoch muß ich die große Bewegung meines Herzens fürchten der ich nicht gebiehten kann.
Ich bin gezwungen einige Zeit in meinem traurigen Leben zurückzugehen um Ihnen einige Umstände zu melden die ich Ihnen, theils aus schonender Freund[2]schaft verschwieg, theils weil ich jedesmal so oft ich es berühren wolte, von einer so heftigen Verzweiflung ergriffen [wurde] die auch jezt mein Herz zerreißt, und meinen Zustand verschlimmert, die ich aber überwinden muß, damit Sie deutlich einsehen, welche Vorsicht Sie mir in Ihrem Betragen, in Rücksicht auf mich schuldig sind.
Sie wissen nur im allgemeinen mein geliebter Freund den Ausgang meines Prozesses mit Bernhardi, ich bin gezwungen mehr ins Einzelne zu gehen. Mein Prozeß ist auf eine Weise entschieden, welche ewig die Preusische Gerichtsbarkeit anklagen wird. Sie wissen daß sich Bernhardi die niederträchtigsten Beschuldigungen gegen meinen Lebenswandel erlaubt hat, so wie über die Vernachlässigung meiner Kinder nicht nur sondern auch einer höchst grausamen Behandlung ihrer die ich theils selbst ausübte, theils von andern duldete, und diese Beschuldigungen grün[3]dete er auf das Zeugniß liederlicher Mägde, und auf Fichte. Meine Zeugnisse die ich für das Gegentheil von der Erzherzogin, Frau v. Stael, Hardenberg, und andern ähnlichen Personen beibrachte wurden von der Berlinischen Gerichtsbarkeit verworfen, unter den seltsamen Vorwande, daß ich mich in Gegenwart dieser Personen natürlich wohl gut betragen würde, diese also meinen Lebenswandel nicht wissen könten, wohl aber Mägde die immer um mich gewesen wären. Auf meine Gründe welche ich aufstelte, um Bernhardis Zeugen zu verwerfen, und die sehr triftig waren wurde nicht Rücksicht genommen, sondern im Gegentheil ich noch Beschuldigt ich habe die liederliche Mine derer Sie sich wohl noch erinnern bloß deshalb aus dem Hause gejagt weil sie dem B[ernhardi] meine schändliche Verbindung mit Ihnen habe entdeken wollen. Diese Mine bezeugt nun nach B[ernhardis] Aussage, den[n] [4] so sehr hat man B[ernhardi] begünstigt, daß man seine Zeugen nicht einmal gerichtlich abgehört hat, daß sie uns beide oftmals in den unzweideutigsten Stellungen überrascht, diese Stellungen werden so detaillirt beschrieben, daß ich es nicht wiederhohlen mag, auf dies sogenante Zeugniß nun, wurde mein Nahme so entsezlich beschimpft, daß ich als des Ehebruchs mit Ihnen so gut wie überwiesen von Ihn geschieden wurde und man die Kinder B[ernhardi] zusprach.
Könten Sie mein theurer Freund nach dieser öffentlichen Beschimpfung die ohne Ihre Schuld um Ihrentwillen [ich] erleiden mußte, nun noch irgendeinen Schrit thun, welcher nur so ausgelegt werden könte, von irgendeinem Menschen als sei Grund in dieser Beschuldigung, dan mein theurer geliebter Freund könte ich nicht mehr glauben daß die innigste Freundschaft, und die zärtlichste Hochachtung unsere Verbin[5]dung geknüpft hätte, und der Trost welchen mein Herz in der Erinnerung an Ihre grosmüthige Liebe findet würde verschwinden, ich würde daß wie ein Verbrechen betrachten, wofür mich der Himmel bestrafen wolte was in tausend unglücklichen Stunden mein Trost war.
Ich schreibe in vielen Absätzen und mit großer Anstrengung daß werden Sie wohl dem Briefe ansehen. Das Urtheil wurde mir mitgetheilt, und wie gewöhnlich 6 Wochen Frist zur Appellation vergönt, die ich sogleich überreichte und während dieser Zeit meinte ich vollkommen sicher zu sein, plözlich erschien B[ernhardi] mit der Volmacht zur Exekution, welche so abgefaßt war als hätte ich den Prozeß in aller Form, in allen drei Instanzen verlohren, dies war ihm möglich geworden weil er, wahrscheinlich durch Geld, meinen Advokaten bewogen hatte auszusagen, wenn das Urtheil nicht nach meinem Sinn ausfiehle würde ich mich wohl dem Ausspruch entziehen, und mit meinen Kindern nach [6] Corsicka gehen. Dieser Unsinn war hinlänglich mich elend zu machen. Sie sehen daraus daß die Richter Advokaten Zeugen und Vormünder B[ernhardis] Freunde waren. Hätte ich können in Wien bleiben so hätte die Sache vieleicht eine andere Wendung genommen, allein mein Unglück wolte daß B[ernhardis] Bevolmächtigter in Wien ein Freund der Subalternen von der Polizei, und man benuzte die Zeit der Kröhnung in Ungarn wo alle meine Beschützer entfernt waren um mich von Wien zu entfernen. Ihr Bruder kann darüber die beste Auskunft geben wie unmöglich mir das Bleiben gemacht wurde. Nach Rom zu gehen mangelte mir theils das Geld, theils hatten meine ehemaligen Beschützer zu der Zeit dort keine Stimme, und der Französische Gesandte welcher mir seinen Beistand versprach hatte sich entfernt.
Hier blieb mir nun nichts übrig um [7] mir wenigstens ein Kind zu retten als den für meine Ehre nachtheiligen Schrit zu thun und mich mit B[ernhardi] zu vergleichen, dadurch war ich aber gezwungen alle Appellation aufzugeben, und so jede Beschimpfung als gerecht auf meinen Nahmen haften zu lassen.
Nach allem diesem frage ich Sie geliebter Freund ob Sie es für möglich halten Ihren Bruder in unsere Angelegenheit zu mischen, und auf irgend eine Weise eine Veranlassung zu geben, die meine Ehre noch ferner kränckte. Halten Sie es für möglich so beschwöre ich sie dennoch Ihren Vorsatz aufzugeben, weil es den lezten Schatten von Glück, die Ruhe aus meinem Herzen verbannen würde. Sie wissen nicht geliebter Freund wie grausam, wie ganz ich das eine Kind verlohren habe, um mir das andere zu erhalten. Es wurde zwar mit B[ernhardi] ausgemacht daß wir uns gegenseitig von den Kindern Nachricht geben wolten [8] aber wie bald wurde dies unmöglich, statt mir Nachricht von Wilhelm zu geben benuzte er diese Gelegenheit nur mir die gröbsten Schmähungen auf die niedrigste Weise zu schreiben ohne fast nur des Kindes zu gedenken. Dan wolte er den Vergleich benutzen mir die Bezalung seiner Schulden zuzuschieben, so daß seine Gläubiger mich unter erbärmlichen Vorwänden verklagen mußten, mir blieb nichts übrig als mich an seinen Vater zu wenden. Daß hatte aber die nothwendige Folge daß aller Briefwechsel zwischen uns gänzlich aufhörte, seitdem weiß ich nichts von Wilhelm. Noch aus einem andern Grunde ist mir dieser Sohn völlig verlohren. Bei B[ernhardis] Denkensart können Sie sich ja leicht vorstellen daß er alle Liebe zu mir im Herzen des Kindes vertilgen wird. Sie können ja wohl denken, daß er, da er weiß wie ich meine Kinder liebe, und wie mich das schmerzen muß [9] ihm das verächtlichste Bild von mir beibringen [wird], so daß er ihm in mehr als einen Sinn eine Mutter entreißt. Dan kann ich es auch um Felix willen nicht wünschen daß beide Brüder sich vor ihren Erwachsenen Jahren wiedersehen. Auf Felix hatte der gewaltsame Auftrit wodurch mir Wilhelm entrißen wurde, den entsezlichsten Eindruck gemacht. Er haßt und verabscheut B[ernhardi] von ganzer Seele, und da dieser sich gern gefallen ließ so lange er in München blieb, den Kindern seinen Zusammenhang mit ihnen zu verschweigen so ist Felix sehr weit entfernt ihn nur zu ahnden, und bei seinem tiefen Gemüth würde eine solche Entdeckung die nachtheiligsten Folgen für ihn haben. In meiner Verzweiflung sahe ich es mit Freuden wie Felix so rein von dem Ungeheuer blieb, daß er ihm keinen Kuß ja nicht einmal die Hand gab.
Ich möchte Ihnen viel über Felix [10] schreiben, weil ich weiß wie theuer Ihnen dieses Kind ist, aber mir versagen die Kräfte. Seine Geisteskräfte sind weit über sein Alter, und seine Bildung verspricht einen vollkommen schönen Mann. Der nagende Kummer das Wilhelm so ganz meinem Herzen entrißen ist, hat endlich den schlimsten Einfluß auf meine Gesundheit geäussert, Sie wissen daß ich immer an Brustübeln litt, diese haben sich so verschlimmert, daß ich schon seit einiger Zeit Blut mit Eiter vermischt auswerfe, die Ärzte sind der Meinung wenn ich diesen Sommer ein Eisenbad brauchen kann daß ich vieleicht wiederhergestelt werde, wenn daß aber nicht geschieht daß ich dan gewiß sterbe weil dan das Brustübel sich so verschlimmern würde daß keine Eisenkuhr mehr gebraucht werden dürfte. Können Sie nach diesem Ausspruch der Ärzte es für übertrieben halten wenn [11] ich meinen Tod nahe glaube? Um deswillen mein geliebter Freund habe ich so sehnlich gewünscht Sie noch einmal vor Ihrer Reise zu sprechen, um über Felix Erziehung mit Ihnen Rücksprache zu nehmen und Ihnen dan einen Brief für Felix zuzustellen, welchen Sie ihm geben sollen wenn Sie seinen Verstand reif gefunden hätten. Dieser Brief solte die hauptsächlichsten Begebenheiten meines und seines Lebens enthalten, und seinem Herzen lehren waß es kindlich zu verehren, und wovon es sich mit dreistem Muth abwenden kann. Ich werde diesen Brief versiegelt meinem Bruder Friedrich übergeben, welcher ihn Ihnen zustellen soll, den[n] aus Ihrer Hand soll ihn Felix empfangen, solten aber auch Sie zu frühe sterben, so muß es meinem Bruder überlassen bleiben ihn Felix zu geben. Für die Zukunft meines Kindes habe ich in Weltlicher [12] Hinsicht keine Sorge. Es scheint das Schicksall will nur mich jede Art des Elends prüfen lassen, denn wenn sich meine Augen schliessen dann werden bessere Sterne regieren. Durch eine sonderbahre Verkettung der Umstände ist unsere Unternehmung in Rom so gehemt worden biß nun M. de Girando selbst die Sümpfe besucht und sie ganz vortreflich befunden hat, jezt wird sie auf alle Weise sehr von der Französischen Regierung unterstüzt, so daß sie sehr einträglich werden wird, wenn ich diese Welt verlasse. Sie wissen selbst wie Knorring seit acht Jahren mit der zärtlichsten Ergebenheit mir Reichtum, eine glänzende Laufbahn, kurz jeden äussern Schimmer, mit der rührendsten Resignation in der Blühte seiner Jugend aufgeopfert hat. Jezt hält er mich von andern Banden frei, können Sie ihn tadeln wenn sein Herz nun Hoffnungen hegt? Er wagt es sich [13] nicht zu sagen wie schlim mein Zustand ist, und meint ein Bad werde alles gut machen. Ist es nicht traurig daß ich so gegen meine Schuld jede Hoffnung täuschen muß? Aber wenn ich auch sterbe so bürgt mir Knorrings Charackter dafür daß es kein leeres Wort ist daß Felix immer einen väterlich gesinten Freund an ihm behält, und daß nie eine andere Verbindung und andere Kinder dies Verhältniß stöhren werden. Knorrings schönste Hoffnung war es das einst Sie Ihre Bemühungen mit den unsrigen vereinigen würden, und das Felix daß seltne Glück geniessen würde seine Bildung einem Geiste wie dem Ihrigen zu verdanken, und der ihn dabei mit der väterlichsten Zärtlichkeit liebte. Knorring selbst unterrichtet ihn viel und Ihren Beistand hatten wir uns für sein reiferes Alter versprochen.
Ich kann Ihnen theuerster Freund nicht alles so schreiben wie ich möchte weil ich das Fieber zu starck habe, und meine Brust mich sehr schmerzt. Ich bitte Sie mir diesen Brief sogleich zu beant[14]worten, wenn es auch nur mit wenigen Worten ist, weil biß Ihre Antwort komt mein Herz keine Ruhe kent. Nur bitte ich Sie in der Wahl der Worte vorsichtig zu sein. Durch zu häufiges Weinen um Wilhelms Verlust habe ich ein Übel nach meinen Augen gezogen, welches bei jeden heftigen Anfall von Krankheit schlimmer [wird] so daß ich oft so erblindet bin, daß ich mir alle Briefe muß vorlesen lassen. Dieser Zustand war als Ihr lezter Brief kam, und Knorring der ihn mir vorlaß konte nicht begreifen warum er einen so heftigen Eindruck auf mich machte und wundert sich, daß ich ihn troz meiner Kranckheit drei Tage nacheinander so weitläuftig beantworte. Rauben Sie mir mein zärtlich schwesterlich geliebter Freund nicht das lezte Glück, Knorrings volles Vertrauen, melden Sie mir mein theurer Freund daß Sie nach meinen Wünschen handlen wollen, und ich kann ruhig sein.
Daß ich Ihren vorlezten Brief nicht so[15]gleich beantwortete geschahe weil wir immer noch ein Mittel zu finden hofften Sie selbst in Frankreich zu sehen, aber alle meine sehnlichsten Wünsche sind vergeblich. Waß unsere Beweglichkeit sehr hemt ist, daß nun schon seit anderthalb Jahren der Bruder Ludwig völlig von der Gicht gelähmt bei uns ist. Sie kennen seinen Charackter also brauche ich Ihnen nicht zu sagen daß auch darauß eine Quelle unsäglicher Leiden für mich entspringt.
Daß Sie mein geliebter Freund mit solcher Bitterkeit gegen meinen Bruder Friedrich erfült sind, verursacht mir den tiefsten Schmerz. Wie oft haben wir gemeinschaftlich über den unglücklichen Zug in seinem Charackter gesprochen, daß er alle Dienge mit unglaublicher Langsamkeit verzögert, aber deshalb haben Sie ihn doch nie eines Mangels an Freundschaft oder der Undankbarkeit beschuldigt. Ich glaube Sie selbst mein theurer Freund fühlen sich nicht glücklich, sonst könten Sie nicht so bitter gegen Ihre Freunde [16] sein. Glauben Sie mir daß mein Bruder oft ganz vernichtet ist von dem Gefühl daß er so großes Unrecht gegen Sie hat. Jezt hoffe ich sind Sie einigermaßen mit ihm ausgesöhnt, den[n] Fr[au] v. St[aël] wird nun längst das Bild haben welches er von Zürich absenden wolte. Waß Schelling anbetrift so glaube ich daß er bloß einen Vorwand gesucht hat um das Geld baar zu erhalten und das Monument aufzugeben. Troz alles Treibens konte es mein Bruder nie dahin bringen daß sie sich für einen von seinen Vorschlägen entschieden hätten. Endlich sagte ihm Caroline einmal sie wolte nun lieber für dies Geld ein Bild von Wagner mahlen lassen. Der Bruder welcher seine Verpflichtung gegen Sie kante wolte es gern mit dem Monument durchsetzen biß so alberne Gespräche über seinen Eigennutz entstanden, daß er es mußte fallen lassen. Nach Carolinens Tode wolte Schelling gern das Denkmal für Auguste in eins für Caroline umwandeln, auch damit wolte der Bruder einverstanden sein, wenn Sie es zufrieden wären. Nun begreife ich nicht wie Schelling daß Geld zurückfodern kann, doch weiß ich nicht waß darüber in Stutgard noch vorgefallen ist den[n] der Bruder hatt mir [17] nichts darüber geschrieben. Wenn Schelling dieß als ein Freundschaftliches Übereinkommen betrachtet, so begreife ich nicht wie er es hat fodern können, und noch weniger wenn er [es] als einen Theil von Carolinens Vermögen behandelt der noch in Ihren Händen, den[n] da sie ohne Testament gestorben ist so hat er alles waß sie zurückgelassen hat, biß auf daß Geräth in der Küche ihren Verwandten zurückgeben müssen, und wenn diese Ihre Zahlung an ihn erfahren, so muß er auch dies zurückstellen.
Ich bin so entkräftet daß ich nichts mehr schreiben kann, und zu kranck um Felix schreiben zu lassen. Er hat Ihnen schon vor einiger Zeit geschrieben ich kann aber seinen Brief nicht aus meinen Papieren suchen, weil ich nicht aufstehen kann. Gewiß vergisst Sie keiner von uns und wir alle lieben Sie mit der innigsten Zärtlichkeit besonders aber ich die ich ewig bleibe
Ihre
S[ophie] Tieck
[18]
×
×