• Karl August Moritz Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Harburg, Elbe · Place of Destination: Amsterdam · Date: 13.05.1794
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Karl August Moritz Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Harburg, Elbe
  • Place of Destination: Amsterdam
  • Date: 13.05.1794
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34097
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.23,Nr.89
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 20,1 x 15,8 cm
  • Incipit: „[1] Liebster Bruder,
    Ich eile, dir die verlangte Antwort wegen meiner an dich gethanen Bitte bald zu geben. deine Bereitwilligkeit, mir [...]“
    Language
  • German
    Editors
  • Bamberg, Claudia
  • Varwig, Olivia
[1] Liebster Bruder,
Ich eile, dir die verlangte Antwort wegen meiner an dich gethanen Bitte bald zu geben. deine Bereitwilligkeit, mir mit Aufopferung deiner Zeit und Bequemlichkeit zu dienen, hat mich gerührt; aber ich würde unrecht handeln, wenn ich davon Gebrauch machen wollte. Ich habe mich wirklich auch in Absicht der holländischen Sprache in einen Irrthume befunden. deine dir jetzt übrige wenige Musse ist dir zu kostbar, als daß sie dir geraubt oder durch eine anstrengende Arbeit von ein paar Monaten und mehrere Vorbereitungen darauf geschmälert werden dürfte. Ich freue mich sehr, daß du Hoffnung machst, bald einmal wieder in der schriftstellerischen Welt aufzutreten; um so mehr, da ich es immer herzlich bedauert habe, daß du dem Anschein nach so ganz aus deiner Carriere gerissen worden. Die Nachricht, daß du Rendorps Beyträge, aber die mir aus Recensionen bekannt sind, übersetzt habest, war mir wirklich neu. Ich habe das Werk noch nicht gelesen, da unsre Lesegesellschaften hier sehr unvollkommen sind. Ich muß gestehen, daß ich der Schriftstellerey für jetzt ein bischen überdrüßig bin, und daß mir schon seit einiger Zeit der Gedanke, bey der Beantwortung der zu Haarlem aufgegebenen Preisaufgabe zu concurriren, verleidet worden ist. Seit ein paar Jahren habe ich meine ganze mir von meinem Amte übrige Zeit meinem Werke gewidmet, und sehnte mich endlich herzlich nach dem Ende, um einmal wieder bloß zur Bil[2]dung meines Geistes studieren zu können. Ich that das Gelübde, in ein paar Jahren gar nicht wieder an Schriftstellerey zu denken; und es würde mir kein Gedanke daran eingekommen seyn, dies Gelübde zu brechen, wenn mir nicht von ungefähr jene Preisaufgabe zu Gesicht gekommen wäre, die mich sogleich auf das Feld zurückführte, was ich nur so eben verlassen hatte. Es ist mir auch mit meinem Werke gar nicht nach Wunsch gegangen; ich bin an einen Taugenichts von Verleger gerathen, der sich mir aufgedrungen hat, und jetzt mit der Herausgabe des andren Bandes, den ich ihm schon über ein halbes Jahr fertig geliefert habe, so schrecklich zögert, daß ich nicht ohne Verdruß an das Buch denken kann. Es ist auch in diesem politischen Zeitalter gar keine für die Schriftstellerey günstige Epoche; und es hängt nach dem jetzigen Tone der deutschen Journale gar zu viel vom Glücke und von Connectionen ab, sich bemerklich zu machen. Kein Recensent will sich durch ein günstiges Urtheil über einen noch nicht bekannten Schriftsteller compromittiren; ungeachtet es nach meinem Bedünken die erste Pflicht des Kritikers wäre, wenn er sich dem Publicum wirklich nützlich machen will, Talente angehender Schriftsteller und noch unerkannte Verdienste gehörig zu würdigen. In den götting. Anzeigen hat man den ersten Band meiner populären Betrachtungen sehr günstig beurtheilt, aber die Recension besteht fast in nichts anderm, als einer Abschrift meiner Vorrede. Zu den angeführten Gründen, warum ich nicht gern an die Beantwortung der Preisaufgabe gehe, kömmt noch der, daß es seine eignen Schwierigkeiten hat, eine und [3] dieselbe Sache zu verschiedenen malen bald nach einander abzuhandeln. Das andremal fehlt dem Geiste gewiß die Munterkeit und die Spannkraft, die durch die erste gründliche Durchdenkung einer Sache und durch die Auffindung neuer Gedanken verursacht wird. Man will der Sache neue Wendungen geben, man arbeitet immer mit dem Gedanken, ob man auch die Sache so natürlich gut und stark darstelle, als das erstemal, und fällt dabey unvermeidlich ins Gezwungene. Nun; bis nach Pfingsten kann ich ohnedieß nicht weiter daran denken, und dann will ich sehen, ob mich die philosophisch-theologische Muse begeistert, wobey ich jedoch im geringsten nicht deine freundschaftliche Dienstfertigkeit auf eine harte Probe stellen will. Wo nicht, so übersende ich vielleicht mein ganz sich auf die aufgegebene Frage beziehendes gedrucktes Werk der theol. Gesellschaft in Haarlem mit einem Schreiben, um dadurch Veranlassung zu geben, daß es vielleicht auch in Holland bekannt werden könnte. Dann überschicke ich es dir auch; und ich schmeichle mir, daß es deines Beyfalls nicht ganz unwürdig seyn wird. Jetzt könnte ich dir nur den ersten Theil, welcher sich auf die natürliche Religion, und insbesondre auf den Beweis des Daseyns Gottes bezieht, schicken; und das würde doppelte Schickerey verursachen.
Laß uns, lieber Bruder, diese unter uns verhandelte Angelegenheit als eine Veranlassung nutzen, künftig nicht mehr in einer so gänzlichen Trennung von einander als bisher zu leben. Wir sehen nun doch, daß zwischen Amsterdam und Harburg [4] keine so undurchdringliche Scheidewand ist, und daß die Correspondenz zwischen beiden Orten geschwind genug geht. du wirst mir durch jede Zeile, die du mir schreibst, große Freude verursachen. Ich habe eine ausführliche Lebensbeschreibung meines seel. Vaters aufgesetzt, in der ich ihm wie ich glaube ganz so geschildert habe, wie er war, und die den Beyfall aller derer erhalten hat, denen ich sie mitgetheilt habe, insbesondre auch des Superint. Holscher, dem ich die weitre Besorgung davon übertragen habe. Sie wird entweder ganz oder im Auszug in die Schlichtegrollischen Nekrologen eingerückt werden. Aber, darüber wird noch Zeit hingehen, da Schlichtegroll noch kaum mit dem Jahr 92 zu Ende ist. Ich überschickte sie dir gern im Manuscript, wenn ich nicht besorgte, daß es mehr Porto kostetete, als diese Mittheilung dir werth seyn möchte. –
Bey der allgemeinen Freude über die insbesondre auch für d[ie] Holländer so glorieuse Einnahme von Landrecy hast du doch gewiß den beträchtlichen Verlust mit Kummer vernommen, den bey dem Einfall der Franzosen in Flandern das so sehr exponirte Corps unsrer braven Landesleute erlitten hat. Wenn wird doch endlich dieser abscheuliche Krieg ein Ende nehmen! Meine Frau erinnert sich deiner noch immer mit der aufrichtigsten Freundschaft. An Betty, die wir nach langer Abwesenheit in ein paar Tagen erwarten, werde ich deinen Gruß bestellen. Ich empfehle mich deinem brüderlichen Andenken.
Der deinige
Moriz Schlegel.
Harburg.
d. 13 May 1794.
[1] Liebster Bruder,
Ich eile, dir die verlangte Antwort wegen meiner an dich gethanen Bitte bald zu geben. deine Bereitwilligkeit, mir mit Aufopferung deiner Zeit und Bequemlichkeit zu dienen, hat mich gerührt; aber ich würde unrecht handeln, wenn ich davon Gebrauch machen wollte. Ich habe mich wirklich auch in Absicht der holländischen Sprache in einen Irrthume befunden. deine dir jetzt übrige wenige Musse ist dir zu kostbar, als daß sie dir geraubt oder durch eine anstrengende Arbeit von ein paar Monaten und mehrere Vorbereitungen darauf geschmälert werden dürfte. Ich freue mich sehr, daß du Hoffnung machst, bald einmal wieder in der schriftstellerischen Welt aufzutreten; um so mehr, da ich es immer herzlich bedauert habe, daß du dem Anschein nach so ganz aus deiner Carriere gerissen worden. Die Nachricht, daß du Rendorps Beyträge, aber die mir aus Recensionen bekannt sind, übersetzt habest, war mir wirklich neu. Ich habe das Werk noch nicht gelesen, da unsre Lesegesellschaften hier sehr unvollkommen sind. Ich muß gestehen, daß ich der Schriftstellerey für jetzt ein bischen überdrüßig bin, und daß mir schon seit einiger Zeit der Gedanke, bey der Beantwortung der zu Haarlem aufgegebenen Preisaufgabe zu concurriren, verleidet worden ist. Seit ein paar Jahren habe ich meine ganze mir von meinem Amte übrige Zeit meinem Werke gewidmet, und sehnte mich endlich herzlich nach dem Ende, um einmal wieder bloß zur Bil[2]dung meines Geistes studieren zu können. Ich that das Gelübde, in ein paar Jahren gar nicht wieder an Schriftstellerey zu denken; und es würde mir kein Gedanke daran eingekommen seyn, dies Gelübde zu brechen, wenn mir nicht von ungefähr jene Preisaufgabe zu Gesicht gekommen wäre, die mich sogleich auf das Feld zurückführte, was ich nur so eben verlassen hatte. Es ist mir auch mit meinem Werke gar nicht nach Wunsch gegangen; ich bin an einen Taugenichts von Verleger gerathen, der sich mir aufgedrungen hat, und jetzt mit der Herausgabe des andren Bandes, den ich ihm schon über ein halbes Jahr fertig geliefert habe, so schrecklich zögert, daß ich nicht ohne Verdruß an das Buch denken kann. Es ist auch in diesem politischen Zeitalter gar keine für die Schriftstellerey günstige Epoche; und es hängt nach dem jetzigen Tone der deutschen Journale gar zu viel vom Glücke und von Connectionen ab, sich bemerklich zu machen. Kein Recensent will sich durch ein günstiges Urtheil über einen noch nicht bekannten Schriftsteller compromittiren; ungeachtet es nach meinem Bedünken die erste Pflicht des Kritikers wäre, wenn er sich dem Publicum wirklich nützlich machen will, Talente angehender Schriftsteller und noch unerkannte Verdienste gehörig zu würdigen. In den götting. Anzeigen hat man den ersten Band meiner populären Betrachtungen sehr günstig beurtheilt, aber die Recension besteht fast in nichts anderm, als einer Abschrift meiner Vorrede. Zu den angeführten Gründen, warum ich nicht gern an die Beantwortung der Preisaufgabe gehe, kömmt noch der, daß es seine eignen Schwierigkeiten hat, eine und [3] dieselbe Sache zu verschiedenen malen bald nach einander abzuhandeln. Das andremal fehlt dem Geiste gewiß die Munterkeit und die Spannkraft, die durch die erste gründliche Durchdenkung einer Sache und durch die Auffindung neuer Gedanken verursacht wird. Man will der Sache neue Wendungen geben, man arbeitet immer mit dem Gedanken, ob man auch die Sache so natürlich gut und stark darstelle, als das erstemal, und fällt dabey unvermeidlich ins Gezwungene. Nun; bis nach Pfingsten kann ich ohnedieß nicht weiter daran denken, und dann will ich sehen, ob mich die philosophisch-theologische Muse begeistert, wobey ich jedoch im geringsten nicht deine freundschaftliche Dienstfertigkeit auf eine harte Probe stellen will. Wo nicht, so übersende ich vielleicht mein ganz sich auf die aufgegebene Frage beziehendes gedrucktes Werk der theol. Gesellschaft in Haarlem mit einem Schreiben, um dadurch Veranlassung zu geben, daß es vielleicht auch in Holland bekannt werden könnte. Dann überschicke ich es dir auch; und ich schmeichle mir, daß es deines Beyfalls nicht ganz unwürdig seyn wird. Jetzt könnte ich dir nur den ersten Theil, welcher sich auf die natürliche Religion, und insbesondre auf den Beweis des Daseyns Gottes bezieht, schicken; und das würde doppelte Schickerey verursachen.
Laß uns, lieber Bruder, diese unter uns verhandelte Angelegenheit als eine Veranlassung nutzen, künftig nicht mehr in einer so gänzlichen Trennung von einander als bisher zu leben. Wir sehen nun doch, daß zwischen Amsterdam und Harburg [4] keine so undurchdringliche Scheidewand ist, und daß die Correspondenz zwischen beiden Orten geschwind genug geht. du wirst mir durch jede Zeile, die du mir schreibst, große Freude verursachen. Ich habe eine ausführliche Lebensbeschreibung meines seel. Vaters aufgesetzt, in der ich ihm wie ich glaube ganz so geschildert habe, wie er war, und die den Beyfall aller derer erhalten hat, denen ich sie mitgetheilt habe, insbesondre auch des Superint. Holscher, dem ich die weitre Besorgung davon übertragen habe. Sie wird entweder ganz oder im Auszug in die Schlichtegrollischen Nekrologen eingerückt werden. Aber, darüber wird noch Zeit hingehen, da Schlichtegroll noch kaum mit dem Jahr 92 zu Ende ist. Ich überschickte sie dir gern im Manuscript, wenn ich nicht besorgte, daß es mehr Porto kostetete, als diese Mittheilung dir werth seyn möchte. –
Bey der allgemeinen Freude über die insbesondre auch für d[ie] Holländer so glorieuse Einnahme von Landrecy hast du doch gewiß den beträchtlichen Verlust mit Kummer vernommen, den bey dem Einfall der Franzosen in Flandern das so sehr exponirte Corps unsrer braven Landesleute erlitten hat. Wenn wird doch endlich dieser abscheuliche Krieg ein Ende nehmen! Meine Frau erinnert sich deiner noch immer mit der aufrichtigsten Freundschaft. An Betty, die wir nach langer Abwesenheit in ein paar Tagen erwarten, werde ich deinen Gruß bestellen. Ich empfehle mich deinem brüderlichen Andenken.
Der deinige
Moriz Schlegel.
Harburg.
d. 13 May 1794.
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