• Bernhard Joseph Docen to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: München · Place of Destination: Bern · Date: 30.01.1812
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Bernhard Joseph Docen
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: München
  • Place of Destination: Bern
  • Date: 30.01.1812
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 243‒247.
  • Incipit: „[1] München d. 30 Jan. 1812.
    Mein hochzuverehrender Gönner!
    Sie werden mit mir nicht wenig unzufrieden seyn, daß ich die Antwort auf Ihren [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: APP2712-Bd-6
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,21,15
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 22,9 x 18,7 cm
    Language
  • German
[1] München d. 30 Jan. 1812.
Mein hochzuverehrender Gönner!
Sie werden mit mir nicht wenig unzufrieden seyn, daß ich die Antwort auf Ihren letzten Brief so lange verzögert habe; ich war damals, als mir zuerst die Anzeige in den Heidelbergischen Jahrbüchern zu Gesicht kam, so sehr mit andrer Arbeit beschäftigt, daß ich mir freiwillig die Durchlesung versagen mußte; izt habe ich fast den ganzen Januar durch mich nicht wohl befunden, ich bitte deßhalb mir wegen des Versäumten einige Entschuldigung zu gewähren. – Ihre Beurtheitung ist unter jeder Beziehung mir sehr willkommen gewesen; was Sie überhaupt über den Werth unsrer älteren Poesie hier gesagt haben, dafür dankt Ihnen das theilnehmende Publicum; wodurch Sie aber mich zunächst verbunden, sind die bestimmt besseren Erklärungen, die kritischen Ansichten über den Titurel, und alle jene Stellen, die mir zu weiteren Untersuchungen Anregung seyn werden, wie Sie denn selbst in Ihrem Briefe äußern, jene Bemerkungen böten Stoff zu einem 2ten Sendschreiben dar. Von Büschings verheißener Theilnahme an diesem s. g. Sendschreiben werde ich Ihnen früher gemeldet haben; erst neulich schrieb ich den beiden Freunden, wie ich Lust hätte, wieder in die Reihe zu treten, und die Kritik des gedruckten Textes zu dem Hauptinhalt eines 2ten Sendschreibens machen möchte. (Wie ich sehe, ist hierauf schon zu Ende der Schrift hingedeutet.) Seitdem ich Ihre Beurtheilung gelesen, sehe ich wohl, daß eben auf jene der größere Inhalt des neuen Werkchens gerichtet seyn müßte; an einer Zuschrift an denselben Empfänger wird es nicht fehlen, indessen werde ich auch hier die Discussion nicht an Sie selbst richten; die Benennung Sendschreiben ist ganz verfehlt, ich habe keinen Theil daran. Im übrigen darf die Trennung von dem Museum mir nicht leid seyn; ohne dieses hätten wir Ihnen eine so ausführliche Beurtheilung nicht zu danken. Hätten doch die Herausgeber nur die Verbesserungen, die ich damals, um noch dem Sendschreiben beigefügt zu werden, an sie absandte, dem letzten Heft des Museums beigefügt! – Sollte ich denn in dem übersandten Exemplar unter anderen Dr[uck]f[eh]l[e]rn nicht auch den S. 45 in erworben ê bemerkt haben? Die Abtheilung wäre wol richtiger: Si hat der sœlige erworben, ê dane p. vgl. S. 71. Derlei Kleinigkeiten bei Seite gesetzt, möchte sich nun ein ganz neues Feld für die Untersuchung öffnen in der Gründung und Ausbildung all jener Sagen über den Gral p. Laborde im Itiner.[aire] de lʼEsp.[agne] spricht von ursprünglich einheimischen Dichtungen unter den Galiciern, leider ohne nähere Bestimmung. Daß der Provençale Kiot (Guiot) mit jenem Reimer, dessen s. g. Bibel bekannt genug ist, dieselbe Person sey, ist wenig glaublich. Höchst sonderbar aber ist, daß von Eschenbachʼs Original bis izt keine ausgemacht sichʼre Spur sich findet. Doch, alles, was hier zu [2] untersuchen, möchte immer der folgenden Zeit aufbehalten bleiben, wenn uns nur erst ein lesbarer Abdruck des Titurel gegönnt wäre, aus einer guten H[and] S.[chrift] mit Zuziehung des Drucks, meiner Fragmente, so wie des Diethrichsteinʼschen Codex. Eine solche alte H[and]S.[chrift] enthält die Kaiserliche Wiener Bibliothek; Quellen genug, um zu dem, was hier am meisten an der Zeit wäre, uns zu verhelfen; was nachher aus andern HSS. zur weitern Aufhellung und Verbesserung des Textes zu schöpfen, möchte später noch immer willkommen seyn. Für eine neue Ausgabe des Nibelungen Liedes treten ganz andere Rücksichten ein, und mich freut, daß Sie hier nicht vor dem Wiederauffinden der 1sten H[ohen] Emser HS. hervortreten wollen; was ich über die Abweichungen der Texte halte, wird hoffentlich ihren Beifall finden (in einer Recension der Ausgabe des Originals durch v. d. Hagen.) Zehnmal besser hätte Hagen nach meiner Ueberzeugung gethan, den Münchner oder St. Gallener Codex (mit den nöthigen Einschaltungen aus andern HSS.) zu ediren; was soll izt dem Leser der endlose vom Text gesonderte Varianten-Haufe? So ist das Buch für den freien Gebrauch gar nicht instructiv, wem könnte es einfallen, ohne ganz partielle Zwecke all die Varianten in den Text hineinzulesen? Ich wünschte, daß Sie meine Recension, wenn sie erschienen, aufmerksam prüfen möchten, um über Einzelnes mir Ihre Ansicht wissen zu laßen. Die Vergleichung des 2ten H[ohen]Emser Codex hoffe ich Ihnen bald übersenden zu können; nach Hagens Grundriß (einem sehr nutzbaren Buche) zu urtheilen, ist sie wenig von der St. Gallischen verschieden, die mir aber in der That älter scheint. – Mir fällt hiebei Ihre Frage wegen dem Metellus Tigurinus ein; Hr. Günthner, der 2 Bände über die Geschichte der literarischen Anstalten in Baiern geschrieben, und in Tegernsee hiezu alles vorfindliche benutzt hat, konnte mir über diesen Auctor nichts mehr anführen, als was wir bisher darüber wußten.
Ueber einzelne Puncte Ihrer Anzeige hier weiter uns mitzutheilen, werden Sie mir nach der obigen Erwähnung eines neuen Sendschreibens nicht ungern für izt erlaßen, wiewohl Ihr Beispiel mich anders bestimmen sollte, da Sie in Ihrem ersten Briefe mit zu großer Güte schon zum Voraus mir so vieles mittheilten. Mir ist lieber, aufrichtig Ihnen zu gestehen, daß mich in hohem Grade die philologische Eindringlichkeit und ungemeine Kenntniß der Sprache erfreuet hat, die Sie, wo ich nicht irre, für die älteren deutschen Denkmäler hier zum erstenmal uns gezeigt haben. Ich gestehe Ihnen hiebei, daß mir unbegreiflich ist, wie Hagen und Büsching im 1 Bande der Gedichte des Mittelalters von wahrer Kritik und Kunde der Sprache auch nicht einmal den nöthigsten Gebrauch haben machen mögen, da sie an anderthalb tausend Stellen es hätten thuen sollen. Nicht viel weniger Fehler habe ich in einer Beurtheilung dieser 6 Gedichte gebessert, die aus 52 enggeschriebenen QuartSeiten besteht, und woran ich, für die Jenaische Literatur-Zeitung, gegen 2 Jahre gearbeitet habe. Zum Glück ist man dort zur Aufnahme einer so ausgedehnten Kritik gar nicht geneigt, ich kann sie daher nun besonders herausgeben, was für die [3] Besitzer der Sammlung und sonst auch ungleich vortheilhafter ist, da Recensionen nur angesehen und wieder aus der Hand gelegt werden. Ueberhaupt halte ich die beschränkte Form und das Einerlei unsrer kritischen Institute bei ihrem endlosen Allerlei für einen großen Verderb unsrer Literatur sowohl als Sprache. Was diese betrifft: so werden die Bemühungen des in etlichen Dingen sonderbaren, durch die Richtung seines Strebens aber sehr achtungswürdigen Radlof Ihnen nicht unbemerkt geblieben seyn; er ist nun lange in M.[ünchen], die erste Classe der Akademie, die rücksichtlich ihrer Preisfrage noch immer als urtheilsfähig sich zu bewähren unterlaßen hat, könnte ihn trefflich zu philologischen Zwecken nutzen; statt dessen hat man ihn als Diurnist zur Bibliothek geschoben, zu Arbeiten, wozu ein Schüler der Rhetorik leicht mehr Neigung und Geschick haben möchte. Es ist überhaupt eine eigne Erscheinung, daß die jüngeren Kräfte statt Ermunterung hier so oft grade das Gegentheil gefunden; ich sage es mit der größten Ueberzeugung, was auch am Tage liegt, daß J–[acob]i nebst dem, was von ihm ausgeht, überaus nachtheilig für Baiern, und gar nicht redlich im Plan der so günstig gesinnten Regierung bisher gewirkt hat; Sie werden dieß leichtlich durch Schellingʼs neue Schrift begreiflich finden, worin freilich nur das wissenschaftliche Treiben und Thuen jenes vortrefflichen Mannes geschildert worden. Radlof bedarf Aufmunterung; hätten Sie Veranlaßung, ihm einige Worte zu schreiben, so würde ich mit größtem Vergnügen die Einlage besorgen.
Die Durcharbeitung der Grimmʼschen Schrift hatte mich beinahe abgestumpft; ich habe die Sache auf mehrere Monate gern vergessen, um nachher desto gerner darauf zurückzukommen. Ich bin doch selbst begierig, wie am Ende die Sache sich entwickeln wird. Da Sie mir früher, ganz nach meinem Sinn, über Grimm geschrieben: so erlaube ich mir die Beifügung einer extemporirten Anzeige jener Schrift, worüber ich gern von Ihnen einige Worte in den Jahrbüchern lesen möchte. Es mag immer seyn, daß auf beiden Seiten der Gang der Untersuchung mehr werth ist, als das gewonnene Resultat. Mir bleibt nun wol vorerst nichts zu thun übrig, als eine kritische Durchsicht der Grimmʼschen Schrift zu geben; ich hätte wenig Lust, den Gegenstand nochmal durchzuarbeiten; dagegen gibt es Einzelnes genug gegen Grimm zu berichtigen. Manche hier zu verarbeitende Notizen hatte ich in dem größern Aufsatz unverarbeitet gelaßen; wenn Grimm seitdem Vieles für sich zuerst gebraucht hat, so geschieht mir völlig Recht, eben wie dem H. v. d. Hagen, daß Ihre Untersuchungen über die Nibelungen seiner Einleitung – die am Ende, wie Aretinʼs Mnemonik blos durch das Versprechen alt wird – voran kommen. Zu meiner großen Freude habe ich gestern einen Theil derselben in dem D.[eutschen] Museum abgedruckt gesehen; es ist gewiß so besser, daß Sie ganz mit freier Hand das Ihrige geben; möchte nun auch Tieck seine Combinationen schriftlich fixirt haben; diese Mannigfaltigkeit der Ansichten muß zuletzt höchst interessant sich zeigen. Meine früheren Bemerkungen – ohne weitere Consequenz – sind 1805/6, als ich sie für die Eunomia absandte, unterwegs verloren gegangen. – Hoffentlich lesen wir von nun an Manches [4] von Ihrer Hand im D.[eutschen] Museum, dem ich jene Mannigfaltigkeit und vielfaches Interesse ertheilt wünschte, wodurch für seine Zeit das D.[eutsche] Museum zu einer der besten deutschen Monatschriften erhoben wurde. Und nun erlauben Sie mir noch den Wunsch, daß jenes Vermögen einer gebildeten Darstellung und erlesenen Sprache, wodurch Sie alle Freunde der schönen Literatur so oft erfreut haben, nun auch für die wahre Wiederbelebung unsrer alten Poesie sich wirksam erweisen möge, da von dieser Seite – denn das bloße Accomodationswesen des Modernisirens ist mir eine durchaus zweideutige Sache – fast so viel, wie gar nichts, geschehen ist; wie sehr würden Sie nicht schon durch einige Vorbilder einer solchen Wiederbelebung sich um die innige Wiederherstellung des durch die Reformation zerstörten Bandes zwischen älterer und neuerer deutscher Literatur verdient machen! Schon die Erneuerung der alten Formen scheint uns diesem Ziele näher zu führen. Nachdem ich früherhin sehr unvollkommen die Versart des Fragmentes versucht hatte, wagte ich mich später an den Ton des vollständigen Titurel, und so schwach der Versuch ist, will ich doch wegen des Gegenstandes unsrer gemeinschaftlichen Untersuchungen, ihn beischließen.
Ich empfehle mich Ihrer ferneren Gewogenheit und Freundschaft, und beharre mit vorzüglicher Hochachtung
Ew. Wohlgeboren
ergebenster
B. J. Docen

Für die Uebersendung der erwähnten Blättchen wird sich leicht eine andre Gelegenheit finden; ich werde sodann das Paquetchen ein wenig größer machen. – Darf ich noch fragen, ob Sie nicht etwa die altfranzösischen Handschriften der Genfer Bibliothek, über die Senebier einen Catalog edirt hat, schon etwas näher untersucht haben? Irre ich nicht sehr, so gibt es einiges darunter, was auch für die deutschen Denkmäler eine interessante Beziehung hat. Möchten Sie doch einen jungen Genfer Literaturfreund vermögen, eine Grammatik des altfranzösischen zu schreiben, ohne die doch alle Glossare unzulänglich; ich selbst hatte vorigen Sommer damit schon einen Anfang gemacht; aber mir fehlt zu sehr an Zeit; ich bin froh, wenn ich nur erst mit der Darstellung der altdeutschen Sprache fertig bin, die ich in Briefe einzukleiden mir längst vorgesetzt habe, damit Niemand diese Vorbereitung schwerfällig finde. Was mich aufhält, ist die Nothwendigkeit, hier überall zugleich auf reine prosaische Schriften Rücksicht zu nehmen, so wie Uebersetzungen aus dem Lateinischen die zuverläßigste Quelle für unser künftiges Glossarium sind.
[1] München d. 30 Jan. 1812.
Mein hochzuverehrender Gönner!
Sie werden mit mir nicht wenig unzufrieden seyn, daß ich die Antwort auf Ihren letzten Brief so lange verzögert habe; ich war damals, als mir zuerst die Anzeige in den Heidelbergischen Jahrbüchern zu Gesicht kam, so sehr mit andrer Arbeit beschäftigt, daß ich mir freiwillig die Durchlesung versagen mußte; izt habe ich fast den ganzen Januar durch mich nicht wohl befunden, ich bitte deßhalb mir wegen des Versäumten einige Entschuldigung zu gewähren. – Ihre Beurtheitung ist unter jeder Beziehung mir sehr willkommen gewesen; was Sie überhaupt über den Werth unsrer älteren Poesie hier gesagt haben, dafür dankt Ihnen das theilnehmende Publicum; wodurch Sie aber mich zunächst verbunden, sind die bestimmt besseren Erklärungen, die kritischen Ansichten über den Titurel, und alle jene Stellen, die mir zu weiteren Untersuchungen Anregung seyn werden, wie Sie denn selbst in Ihrem Briefe äußern, jene Bemerkungen böten Stoff zu einem 2ten Sendschreiben dar. Von Büschings verheißener Theilnahme an diesem s. g. Sendschreiben werde ich Ihnen früher gemeldet haben; erst neulich schrieb ich den beiden Freunden, wie ich Lust hätte, wieder in die Reihe zu treten, und die Kritik des gedruckten Textes zu dem Hauptinhalt eines 2ten Sendschreibens machen möchte. (Wie ich sehe, ist hierauf schon zu Ende der Schrift hingedeutet.) Seitdem ich Ihre Beurtheilung gelesen, sehe ich wohl, daß eben auf jene der größere Inhalt des neuen Werkchens gerichtet seyn müßte; an einer Zuschrift an denselben Empfänger wird es nicht fehlen, indessen werde ich auch hier die Discussion nicht an Sie selbst richten; die Benennung Sendschreiben ist ganz verfehlt, ich habe keinen Theil daran. Im übrigen darf die Trennung von dem Museum mir nicht leid seyn; ohne dieses hätten wir Ihnen eine so ausführliche Beurtheilung nicht zu danken. Hätten doch die Herausgeber nur die Verbesserungen, die ich damals, um noch dem Sendschreiben beigefügt zu werden, an sie absandte, dem letzten Heft des Museums beigefügt! – Sollte ich denn in dem übersandten Exemplar unter anderen Dr[uck]f[eh]l[e]rn nicht auch den S. 45 in erworben ê bemerkt haben? Die Abtheilung wäre wol richtiger: Si hat der sœlige erworben, ê dane p. vgl. S. 71. Derlei Kleinigkeiten bei Seite gesetzt, möchte sich nun ein ganz neues Feld für die Untersuchung öffnen in der Gründung und Ausbildung all jener Sagen über den Gral p. Laborde im Itiner.[aire] de lʼEsp.[agne] spricht von ursprünglich einheimischen Dichtungen unter den Galiciern, leider ohne nähere Bestimmung. Daß der Provençale Kiot (Guiot) mit jenem Reimer, dessen s. g. Bibel bekannt genug ist, dieselbe Person sey, ist wenig glaublich. Höchst sonderbar aber ist, daß von Eschenbachʼs Original bis izt keine ausgemacht sichʼre Spur sich findet. Doch, alles, was hier zu [2] untersuchen, möchte immer der folgenden Zeit aufbehalten bleiben, wenn uns nur erst ein lesbarer Abdruck des Titurel gegönnt wäre, aus einer guten H[and] S.[chrift] mit Zuziehung des Drucks, meiner Fragmente, so wie des Diethrichsteinʼschen Codex. Eine solche alte H[and]S.[chrift] enthält die Kaiserliche Wiener Bibliothek; Quellen genug, um zu dem, was hier am meisten an der Zeit wäre, uns zu verhelfen; was nachher aus andern HSS. zur weitern Aufhellung und Verbesserung des Textes zu schöpfen, möchte später noch immer willkommen seyn. Für eine neue Ausgabe des Nibelungen Liedes treten ganz andere Rücksichten ein, und mich freut, daß Sie hier nicht vor dem Wiederauffinden der 1sten H[ohen] Emser HS. hervortreten wollen; was ich über die Abweichungen der Texte halte, wird hoffentlich ihren Beifall finden (in einer Recension der Ausgabe des Originals durch v. d. Hagen.) Zehnmal besser hätte Hagen nach meiner Ueberzeugung gethan, den Münchner oder St. Gallener Codex (mit den nöthigen Einschaltungen aus andern HSS.) zu ediren; was soll izt dem Leser der endlose vom Text gesonderte Varianten-Haufe? So ist das Buch für den freien Gebrauch gar nicht instructiv, wem könnte es einfallen, ohne ganz partielle Zwecke all die Varianten in den Text hineinzulesen? Ich wünschte, daß Sie meine Recension, wenn sie erschienen, aufmerksam prüfen möchten, um über Einzelnes mir Ihre Ansicht wissen zu laßen. Die Vergleichung des 2ten H[ohen]Emser Codex hoffe ich Ihnen bald übersenden zu können; nach Hagens Grundriß (einem sehr nutzbaren Buche) zu urtheilen, ist sie wenig von der St. Gallischen verschieden, die mir aber in der That älter scheint. – Mir fällt hiebei Ihre Frage wegen dem Metellus Tigurinus ein; Hr. Günthner, der 2 Bände über die Geschichte der literarischen Anstalten in Baiern geschrieben, und in Tegernsee hiezu alles vorfindliche benutzt hat, konnte mir über diesen Auctor nichts mehr anführen, als was wir bisher darüber wußten.
Ueber einzelne Puncte Ihrer Anzeige hier weiter uns mitzutheilen, werden Sie mir nach der obigen Erwähnung eines neuen Sendschreibens nicht ungern für izt erlaßen, wiewohl Ihr Beispiel mich anders bestimmen sollte, da Sie in Ihrem ersten Briefe mit zu großer Güte schon zum Voraus mir so vieles mittheilten. Mir ist lieber, aufrichtig Ihnen zu gestehen, daß mich in hohem Grade die philologische Eindringlichkeit und ungemeine Kenntniß der Sprache erfreuet hat, die Sie, wo ich nicht irre, für die älteren deutschen Denkmäler hier zum erstenmal uns gezeigt haben. Ich gestehe Ihnen hiebei, daß mir unbegreiflich ist, wie Hagen und Büsching im 1 Bande der Gedichte des Mittelalters von wahrer Kritik und Kunde der Sprache auch nicht einmal den nöthigsten Gebrauch haben machen mögen, da sie an anderthalb tausend Stellen es hätten thuen sollen. Nicht viel weniger Fehler habe ich in einer Beurtheilung dieser 6 Gedichte gebessert, die aus 52 enggeschriebenen QuartSeiten besteht, und woran ich, für die Jenaische Literatur-Zeitung, gegen 2 Jahre gearbeitet habe. Zum Glück ist man dort zur Aufnahme einer so ausgedehnten Kritik gar nicht geneigt, ich kann sie daher nun besonders herausgeben, was für die [3] Besitzer der Sammlung und sonst auch ungleich vortheilhafter ist, da Recensionen nur angesehen und wieder aus der Hand gelegt werden. Ueberhaupt halte ich die beschränkte Form und das Einerlei unsrer kritischen Institute bei ihrem endlosen Allerlei für einen großen Verderb unsrer Literatur sowohl als Sprache. Was diese betrifft: so werden die Bemühungen des in etlichen Dingen sonderbaren, durch die Richtung seines Strebens aber sehr achtungswürdigen Radlof Ihnen nicht unbemerkt geblieben seyn; er ist nun lange in M.[ünchen], die erste Classe der Akademie, die rücksichtlich ihrer Preisfrage noch immer als urtheilsfähig sich zu bewähren unterlaßen hat, könnte ihn trefflich zu philologischen Zwecken nutzen; statt dessen hat man ihn als Diurnist zur Bibliothek geschoben, zu Arbeiten, wozu ein Schüler der Rhetorik leicht mehr Neigung und Geschick haben möchte. Es ist überhaupt eine eigne Erscheinung, daß die jüngeren Kräfte statt Ermunterung hier so oft grade das Gegentheil gefunden; ich sage es mit der größten Ueberzeugung, was auch am Tage liegt, daß J–[acob]i nebst dem, was von ihm ausgeht, überaus nachtheilig für Baiern, und gar nicht redlich im Plan der so günstig gesinnten Regierung bisher gewirkt hat; Sie werden dieß leichtlich durch Schellingʼs neue Schrift begreiflich finden, worin freilich nur das wissenschaftliche Treiben und Thuen jenes vortrefflichen Mannes geschildert worden. Radlof bedarf Aufmunterung; hätten Sie Veranlaßung, ihm einige Worte zu schreiben, so würde ich mit größtem Vergnügen die Einlage besorgen.
Die Durcharbeitung der Grimmʼschen Schrift hatte mich beinahe abgestumpft; ich habe die Sache auf mehrere Monate gern vergessen, um nachher desto gerner darauf zurückzukommen. Ich bin doch selbst begierig, wie am Ende die Sache sich entwickeln wird. Da Sie mir früher, ganz nach meinem Sinn, über Grimm geschrieben: so erlaube ich mir die Beifügung einer extemporirten Anzeige jener Schrift, worüber ich gern von Ihnen einige Worte in den Jahrbüchern lesen möchte. Es mag immer seyn, daß auf beiden Seiten der Gang der Untersuchung mehr werth ist, als das gewonnene Resultat. Mir bleibt nun wol vorerst nichts zu thun übrig, als eine kritische Durchsicht der Grimmʼschen Schrift zu geben; ich hätte wenig Lust, den Gegenstand nochmal durchzuarbeiten; dagegen gibt es Einzelnes genug gegen Grimm zu berichtigen. Manche hier zu verarbeitende Notizen hatte ich in dem größern Aufsatz unverarbeitet gelaßen; wenn Grimm seitdem Vieles für sich zuerst gebraucht hat, so geschieht mir völlig Recht, eben wie dem H. v. d. Hagen, daß Ihre Untersuchungen über die Nibelungen seiner Einleitung – die am Ende, wie Aretinʼs Mnemonik blos durch das Versprechen alt wird – voran kommen. Zu meiner großen Freude habe ich gestern einen Theil derselben in dem D.[eutschen] Museum abgedruckt gesehen; es ist gewiß so besser, daß Sie ganz mit freier Hand das Ihrige geben; möchte nun auch Tieck seine Combinationen schriftlich fixirt haben; diese Mannigfaltigkeit der Ansichten muß zuletzt höchst interessant sich zeigen. Meine früheren Bemerkungen – ohne weitere Consequenz – sind 1805/6, als ich sie für die Eunomia absandte, unterwegs verloren gegangen. – Hoffentlich lesen wir von nun an Manches [4] von Ihrer Hand im D.[eutschen] Museum, dem ich jene Mannigfaltigkeit und vielfaches Interesse ertheilt wünschte, wodurch für seine Zeit das D.[eutsche] Museum zu einer der besten deutschen Monatschriften erhoben wurde. Und nun erlauben Sie mir noch den Wunsch, daß jenes Vermögen einer gebildeten Darstellung und erlesenen Sprache, wodurch Sie alle Freunde der schönen Literatur so oft erfreut haben, nun auch für die wahre Wiederbelebung unsrer alten Poesie sich wirksam erweisen möge, da von dieser Seite – denn das bloße Accomodationswesen des Modernisirens ist mir eine durchaus zweideutige Sache – fast so viel, wie gar nichts, geschehen ist; wie sehr würden Sie nicht schon durch einige Vorbilder einer solchen Wiederbelebung sich um die innige Wiederherstellung des durch die Reformation zerstörten Bandes zwischen älterer und neuerer deutscher Literatur verdient machen! Schon die Erneuerung der alten Formen scheint uns diesem Ziele näher zu führen. Nachdem ich früherhin sehr unvollkommen die Versart des Fragmentes versucht hatte, wagte ich mich später an den Ton des vollständigen Titurel, und so schwach der Versuch ist, will ich doch wegen des Gegenstandes unsrer gemeinschaftlichen Untersuchungen, ihn beischließen.
Ich empfehle mich Ihrer ferneren Gewogenheit und Freundschaft, und beharre mit vorzüglicher Hochachtung
Ew. Wohlgeboren
ergebenster
B. J. Docen

Für die Uebersendung der erwähnten Blättchen wird sich leicht eine andre Gelegenheit finden; ich werde sodann das Paquetchen ein wenig größer machen. – Darf ich noch fragen, ob Sie nicht etwa die altfranzösischen Handschriften der Genfer Bibliothek, über die Senebier einen Catalog edirt hat, schon etwas näher untersucht haben? Irre ich nicht sehr, so gibt es einiges darunter, was auch für die deutschen Denkmäler eine interessante Beziehung hat. Möchten Sie doch einen jungen Genfer Literaturfreund vermögen, eine Grammatik des altfranzösischen zu schreiben, ohne die doch alle Glossare unzulänglich; ich selbst hatte vorigen Sommer damit schon einen Anfang gemacht; aber mir fehlt zu sehr an Zeit; ich bin froh, wenn ich nur erst mit der Darstellung der altdeutschen Sprache fertig bin, die ich in Briefe einzukleiden mir längst vorgesetzt habe, damit Niemand diese Vorbereitung schwerfällig finde. Was mich aufhält, ist die Nothwendigkeit, hier überall zugleich auf reine prosaische Schriften Rücksicht zu nehmen, so wie Uebersetzungen aus dem Lateinischen die zuverläßigste Quelle für unser künftiges Glossarium sind.
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