• Friedrich Heinrich Hugo Windischmann to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: München · Place of Destination: Bonn · Date: 29.06.1833
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich Heinrich Hugo Windischmann
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: München
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 29.06.1833
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34336
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.29,Nr.32
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 27,2 x 20,8 cm
  • Incipit: „[1] Mein hochzuverehrender Lehrer.
    Schon längst war es mein Wunsch, Ihnen über mein hiesiges Leben Bericht zu erstatten, damit Ihr gütiges [...]“
    Language
  • German
    Editors
  • Bamberg, Claudia
  • Bürger, Thomas
  • Schellbach, Kerstin
[1] Mein hochzuverehrender Lehrer.
Schon längst war es mein Wunsch, Ihnen über mein hiesiges Leben Bericht zu erstatten, damit Ihr gütiges Andenken mich auch in diesem neuen Kreis begleite; allein die zwei Monate meines Hierseins sind in so unglaublicher Schnelle an mir vorübergeeilt und haben dem zum ersten Male in die Fremde Getretenen des Unbekannten so viel geboten, daß ich wirklich erst einiger Sammlung bedurfte, um die Pflicht des ruhigen Erzählers erfüllen zu können. Doch vordem ich das Capitel der vita nuova beginne, lassen Sie mich, mein verehrter Lehrer, noch einmal auf die Zeit meiner Studien in Bonn und auf ihren Beschluß, der nun bald jährig wird, zurückblicken, lassen Sie mich Ihnen noch einmal den innigsten Dank sagen für die väterliche Liebe, mit der Sie mich Jahre hindurch geleitet und zu dem Ziele hingeführt haben, dessen schönster Schmuck Ihr Name war; wäre es mir nur vergönnt, Ihnen meine Dankbarkeit durch die That beweisen zu können. Den rathenden Guru (erlauben Sie, daß ich mit den Mängeln meines Münchener Aufenthaltes anfange, da sie früher gefühlt werden, als das Gute) vermisse ich gar sehr und bin in der That von reichbesezter Tafel zur schmalsten Kost gekommen; ich finde mich oft in meinen Sanskritstudien ganz hülflos und sehe jezt erst ein, wie sehr ich in Bonn verwöhnt war. Die Hofbibliothek hat zwar ziemlich viele der gedruckten Bücher (ein MS. auf dickem, schwarzem Papier, wie eine Landkarte zusammengelegt, mit weißen Buchstaben geschrieben, die viele scheinbare Ähnlichkeit mit Devanagari haben – [2] die Zahlzeichen sind ganz übereinstimmend – figurirt als Samserdamicum, aber ich habe mich vergebens bemüht, etwas zu entziffern; es scheint mir kein Sanskrit zu sein), aber doch keineswegs in der Vollständigkeit, wie die Ihrige, und überdieß benüzt sie Othmar Frank auf eine so egoistische Art, daß es kaum möglich ist, der seltneren habhaft zu werden. Als ich ihm vor kurzem durch den Bibliothekar Panini abfordern ließ, kam er in aller Eile zu demselben, um zu fragen, wer sich zu so großem Frevel unterstehe; er wisse Niemanden in München, der solche Bücher brauchen könne, wenigstens sei es keiner von seinen Zöglingen. Man erwiderte ihm, daß sich das allerdings so verhalten möge, aber nannte dann mich als Ihren Schüler, der einem der Bibliotheksassistenten Unterricht in Sanskrit ertheile. Dies sezte ihn in nicht geringer Entrüstung: er wisse wohl, daß Sie seine Verdienste nicht anerkennen wollten und Ihre Schüler folgten Ihrem Beispiele. Sie sehen, mein hochzuverehrender Lehrer, was ich um Ihretwillen leide; doch werde ich Franks Groll zu verschmerzen wissen. Ich würde ihn besucht haben, um die Sache in aller Güte auszumachen; allein eine fatale kleine Stelle in meinem Sankara, die ich von Professor Lassen verleitet im Übermuthe geschrieben habe, hindert mich daran. Um so freundlichere Aufnahme hat mir Ihre gütige Empfehlung bei Herrn von Schelling verschafft, den Ihre Schrift aufs lebhafteste interessirte; ich habe ihn schon öfter gesehen und er erkundigte sich immer mit der größten Theilnahme nach Ihnen. Seine Vorlesungen über die Weltalter höre ich mit großer Aufmerksamkeit, und obgleich manche dogmatische Einwendungen gegen seine Ansichten gemacht werden können, so hat mich doch im Allgemeinen die christliche Tendenz seiner jezigen Denkweise sehr erfreut; die Klarheit und Schärfe des Ausdrucks machen es ziemlich leicht dem Vortrage zu folgen. Unter meine[n] übrigen Lehrern kann ich Professor Döllinger nicht genug [3] rühmen, der über Kirchengeschichte liest und nächstens den ersten Theil seines vortrefflichen Handbuches darüber herausgeben wird. Ich beschäftige mich außerdem eifrig mit dem Hebräischen und denke wohl auch im nächsten Winter das Arabische hinzuzunehmen. Professor Neumann, der sich Ihnen aufs beßte empfehlen läßt, ist mein Meister im Armenischen, welches für mich wegen seiner vielen kirchenhistorischen Quellen nicht ohne Nuzen bleiben wird. Vielleicht ist es mir einmal vergönnt, von hier aus eine Wanderung nach Venedig zu machen, um im Kloster San Lazaro durch unmittelbaren Umgang zu lernen. – Auf diese Weise ist meine Zeit mit theologischen und philologischen Arbeiten reichlich ausgefüllt; das Sanskrit ist mir die angenehmste Erholung; überdieß bieten die großen Kunstschäze, die ich bis jezt nur erst oberflächlich kenne, eine unerschöpfliche Quelle der sammelndsten Zerstreuung dar. Die Glyptothek hat mich in hohem Grade überrascht; abgesehen von den unvergleichlichen Bildwerken, unter denen ich die Giganten nicht genug bewundern kann, ist die Reihe der Säle mit der geschmackvollsten Pracht, ja mit Verschwendung ausgeschmückt; zur schönsten Zier gehören die Frescogemälde von Cornelius, meist Scenen aus der Ilias. Die Bildersammlung in Schleisheim habe ich leider noch nicht sehen können.
Mein häusliches Leben hat sich so angenehm gestaltet, als es außer dem geliebten, elterlichen Hause möglich ist; München macht bei allen seinen Mängeln auf die meisten Fremden den Eindruck der Heimischkeit; nur die Gegend erinnert oft schmerzlich an den Rhein; den entfernteren Umgebungen muß man freilich die größte Gerechtigkeit widerfahren lassen. Unter den vielen lieben Freunden, die ich hier gefunden, nehmen sich besonders Waltherʼs meiner sehr gütig an; sie haben mir die herzlichsten Grüße an Sie aufgetragen. Bei Görres bin ich häufig und finde an Guido einen tüchtigen Genossen im Sanskrit, worin er von Ihnen zu fest begründet war, als daß er es durch langes Brachliegen hätte vergessen [4] können; so fleißig er arbeitet (zunächst an einer deutschen Geschichte) so thut es mir doch leid, daß er noch immer nicht seiner Thätigkeit eine bestimmte Richtung gegeben hat. – Für die Erhaltung meiner Gesundheit kann ich Gott nicht genug danken; ich hatte den Wechsel des Climaʼs etwas gefürchtet; allein eine ziemlich anstrengende Tour inʼs baierische Hochgebirge hat mich sehr erfrischt und vollkommen acclimatisirt. Doch ich sehe, daß ich schon zu weitläufig geworden bin. Sie erlauben mir wohl, mein hochverehrter Lehrer, daß ich manches Andere zu anderer Zeit nachtrage, da ich weiß, wie wohlwollend Sie an meinem Fortgange Theil nehmen. Erhalten Sie fortwährend diese gütige Gesinnung
Ihrem
mit der größten Hochachtung und Dankbarkeit
Ihnen
ergebenem Dr. H. Windischmann
München am 29ten Juni 1833.
[1] Mein hochzuverehrender Lehrer.
Schon längst war es mein Wunsch, Ihnen über mein hiesiges Leben Bericht zu erstatten, damit Ihr gütiges Andenken mich auch in diesem neuen Kreis begleite; allein die zwei Monate meines Hierseins sind in so unglaublicher Schnelle an mir vorübergeeilt und haben dem zum ersten Male in die Fremde Getretenen des Unbekannten so viel geboten, daß ich wirklich erst einiger Sammlung bedurfte, um die Pflicht des ruhigen Erzählers erfüllen zu können. Doch vordem ich das Capitel der vita nuova beginne, lassen Sie mich, mein verehrter Lehrer, noch einmal auf die Zeit meiner Studien in Bonn und auf ihren Beschluß, der nun bald jährig wird, zurückblicken, lassen Sie mich Ihnen noch einmal den innigsten Dank sagen für die väterliche Liebe, mit der Sie mich Jahre hindurch geleitet und zu dem Ziele hingeführt haben, dessen schönster Schmuck Ihr Name war; wäre es mir nur vergönnt, Ihnen meine Dankbarkeit durch die That beweisen zu können. Den rathenden Guru (erlauben Sie, daß ich mit den Mängeln meines Münchener Aufenthaltes anfange, da sie früher gefühlt werden, als das Gute) vermisse ich gar sehr und bin in der That von reichbesezter Tafel zur schmalsten Kost gekommen; ich finde mich oft in meinen Sanskritstudien ganz hülflos und sehe jezt erst ein, wie sehr ich in Bonn verwöhnt war. Die Hofbibliothek hat zwar ziemlich viele der gedruckten Bücher (ein MS. auf dickem, schwarzem Papier, wie eine Landkarte zusammengelegt, mit weißen Buchstaben geschrieben, die viele scheinbare Ähnlichkeit mit Devanagari haben – [2] die Zahlzeichen sind ganz übereinstimmend – figurirt als Samserdamicum, aber ich habe mich vergebens bemüht, etwas zu entziffern; es scheint mir kein Sanskrit zu sein), aber doch keineswegs in der Vollständigkeit, wie die Ihrige, und überdieß benüzt sie Othmar Frank auf eine so egoistische Art, daß es kaum möglich ist, der seltneren habhaft zu werden. Als ich ihm vor kurzem durch den Bibliothekar Panini abfordern ließ, kam er in aller Eile zu demselben, um zu fragen, wer sich zu so großem Frevel unterstehe; er wisse Niemanden in München, der solche Bücher brauchen könne, wenigstens sei es keiner von seinen Zöglingen. Man erwiderte ihm, daß sich das allerdings so verhalten möge, aber nannte dann mich als Ihren Schüler, der einem der Bibliotheksassistenten Unterricht in Sanskrit ertheile. Dies sezte ihn in nicht geringer Entrüstung: er wisse wohl, daß Sie seine Verdienste nicht anerkennen wollten und Ihre Schüler folgten Ihrem Beispiele. Sie sehen, mein hochzuverehrender Lehrer, was ich um Ihretwillen leide; doch werde ich Franks Groll zu verschmerzen wissen. Ich würde ihn besucht haben, um die Sache in aller Güte auszumachen; allein eine fatale kleine Stelle in meinem Sankara, die ich von Professor Lassen verleitet im Übermuthe geschrieben habe, hindert mich daran. Um so freundlichere Aufnahme hat mir Ihre gütige Empfehlung bei Herrn von Schelling verschafft, den Ihre Schrift aufs lebhafteste interessirte; ich habe ihn schon öfter gesehen und er erkundigte sich immer mit der größten Theilnahme nach Ihnen. Seine Vorlesungen über die Weltalter höre ich mit großer Aufmerksamkeit, und obgleich manche dogmatische Einwendungen gegen seine Ansichten gemacht werden können, so hat mich doch im Allgemeinen die christliche Tendenz seiner jezigen Denkweise sehr erfreut; die Klarheit und Schärfe des Ausdrucks machen es ziemlich leicht dem Vortrage zu folgen. Unter meine[n] übrigen Lehrern kann ich Professor Döllinger nicht genug [3] rühmen, der über Kirchengeschichte liest und nächstens den ersten Theil seines vortrefflichen Handbuches darüber herausgeben wird. Ich beschäftige mich außerdem eifrig mit dem Hebräischen und denke wohl auch im nächsten Winter das Arabische hinzuzunehmen. Professor Neumann, der sich Ihnen aufs beßte empfehlen läßt, ist mein Meister im Armenischen, welches für mich wegen seiner vielen kirchenhistorischen Quellen nicht ohne Nuzen bleiben wird. Vielleicht ist es mir einmal vergönnt, von hier aus eine Wanderung nach Venedig zu machen, um im Kloster San Lazaro durch unmittelbaren Umgang zu lernen. – Auf diese Weise ist meine Zeit mit theologischen und philologischen Arbeiten reichlich ausgefüllt; das Sanskrit ist mir die angenehmste Erholung; überdieß bieten die großen Kunstschäze, die ich bis jezt nur erst oberflächlich kenne, eine unerschöpfliche Quelle der sammelndsten Zerstreuung dar. Die Glyptothek hat mich in hohem Grade überrascht; abgesehen von den unvergleichlichen Bildwerken, unter denen ich die Giganten nicht genug bewundern kann, ist die Reihe der Säle mit der geschmackvollsten Pracht, ja mit Verschwendung ausgeschmückt; zur schönsten Zier gehören die Frescogemälde von Cornelius, meist Scenen aus der Ilias. Die Bildersammlung in Schleisheim habe ich leider noch nicht sehen können.
Mein häusliches Leben hat sich so angenehm gestaltet, als es außer dem geliebten, elterlichen Hause möglich ist; München macht bei allen seinen Mängeln auf die meisten Fremden den Eindruck der Heimischkeit; nur die Gegend erinnert oft schmerzlich an den Rhein; den entfernteren Umgebungen muß man freilich die größte Gerechtigkeit widerfahren lassen. Unter den vielen lieben Freunden, die ich hier gefunden, nehmen sich besonders Waltherʼs meiner sehr gütig an; sie haben mir die herzlichsten Grüße an Sie aufgetragen. Bei Görres bin ich häufig und finde an Guido einen tüchtigen Genossen im Sanskrit, worin er von Ihnen zu fest begründet war, als daß er es durch langes Brachliegen hätte vergessen [4] können; so fleißig er arbeitet (zunächst an einer deutschen Geschichte) so thut es mir doch leid, daß er noch immer nicht seiner Thätigkeit eine bestimmte Richtung gegeben hat. – Für die Erhaltung meiner Gesundheit kann ich Gott nicht genug danken; ich hatte den Wechsel des Climaʼs etwas gefürchtet; allein eine ziemlich anstrengende Tour inʼs baierische Hochgebirge hat mich sehr erfrischt und vollkommen acclimatisirt. Doch ich sehe, daß ich schon zu weitläufig geworden bin. Sie erlauben mir wohl, mein hochverehrter Lehrer, daß ich manches Andere zu anderer Zeit nachtrage, da ich weiß, wie wohlwollend Sie an meinem Fortgange Theil nehmen. Erhalten Sie fortwährend diese gütige Gesinnung
Ihrem
mit der größten Hochachtung und Dankbarkeit
Ihnen
ergebenem Dr. H. Windischmann
München am 29ten Juni 1833.
×