• Charlotte Ernst to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Bonn · Date: [Anfang 1819]
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Charlotte Ernst
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: [Anfang 1819]
  • Notations: Datum sowie Absende- und Empfangsort erschlossen.
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-33449
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.7,Nr.20
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19,8 x 11,7 cm
  • Incipit: „[1] Mein geliebter Bruder
    Hast du denn meinen Brief den ich dir mit dem Herrn von Malsburg geschrieben bekommen ich sehne [...]“
    Language
  • German
    Editors
  • Bamberg, Claudia
[1] Mein geliebter Bruder
Hast du denn meinen Brief den ich dir mit dem Herrn von Malsburg geschrieben bekommen ich sehne mich gar zu sehr nach einem Brief von dir, und zu hören wie dir deine neue Lage gefällt. Es ist nichts geringes in ältern Jahren sein Leben ganz neu umzugestalten, mir würde schwindeln dabey. Schreibe mir ja recht umständlich denn glaube mir du fändest bey mir das redliche Herz einer Freundinn. Findest du in deinen neuen Verhältnißen, Freunde die dir werth sind? sind deine übrigen Verhältniße nicht hemmend? wird es dir nicht unangenehm dich nach deinem bisherigen freyen Leben dich in den Regelmäßigen Kreiß von Arbeiten zu schmiegen? ud deine liebe Frau wie geht es ihr? findet sie sich in den neuen Ort denn Heidelberg welches sie verlaßen soll ja ein wahres Paradies seyn? Findet ihr euch beide recht glücklich mit einander, ich hoffe und wünsche es und will recht eifrig dafür beten. Du mußt diese Frage meiner Liebe verzeihen, für gewöhnliche Menschen sorge ich nicht die finden sich in ihrem Gleise, ud leben wenn auch nicht mit einander doch neben einander recht ruhig her, bey außerordentlichen Menschen aber bedeutet das mehr, und ist unendlich schwieriger, sie nehmen nicht das Schicksal wie es komt mit ihren Flecken ud Mängeln, sie fühlen Kraft in sich, sich ein eignes Glück selbst zu gestalten, nach ihren eignen Ansichten, und fehlt ihnen dabey die Nachgiebigkeit sich in andere Eigenthümlichkeiten einzustudieren so gibt dieß Dissonanzen doch die Liebe die mächtige Liebe, eint alles [2] und so hoffe ich auch daß die Euer Leben zu einem Paradiese umschaffen soll, dein Herz verdient es, es ist so innig zart fühlend für leid Weh ud Glück! Ich bitte dich recht inständig lieber Wilhelm schreibe doch an den guten H. von Malsburg, es ist ein gar liebens würdiger angenehmer Mann, er verehrt dich so innig, und wartet recht ängstlich auf eine Antwort von dir auf seine überschickte Uebersetzung des Calderons, er sagte mir letztens. Ihr Herr Bruder findet mein Buch gewiß recht schlecht weil er gar nicht antwortet, ich suchte allerley Entschuldigungen hervor, thue es mir zu Liebe und setze dich hin und schreibe ihm ein paar artige Zeilen die ihm Freude machen, warum seyd ihr berühmte Menschen daß ein Brief von euch so vielen Werth hat. Er hat uns letztens eine Uebersetzung de[r] Echo und des Narciß vorgelesen, die mir allerliebst gefallen hat, sie gehörte unter seinen sehr gelungenen. Ich sehe nun immer näher den Grosmütterlichen Freuden, aber auch Aengsten entgegen, Mein Herz fühlt sich innigst bewegt wenn ich an den kleinen Ankömling denke, mit mütterlicher Liebe werde ich ihn empfangen, und mit stillem Vertrauen der großen Führung der göttlichen Vaterhand überlaßen, ich fühle es immer mehr daß irdisches Sorgen nichtig und fruchtlos ist, es dient nur dazu unsre Kraft zu beugen. Täglich mein [3] Tagewerk mit Muth anzugreifen, nichts zu vernachläßigen was die Klugheit mir eingibt und übrigens so vil als möglich Gelaßen zu zu sehen wie sich die Dinge allmählig gestalten, das ist jetzt mein Losungswort
Wenn man seinem Ziele näher entgegen tritt so fühlt man die Nichtigkeit des eiteln Mühen und Sorgen. Gott lenkt doch einmal unsre Schicksale, der große Zweck ist unsre Veredlung, wir müßen uns nur mit Kraft ausrüsten jedem Angriff gewachsen zu seyn. – Mein Leben ist diesen Winter heiter gewesen, meine Kinder und wir einig ud häuslich vereint, auch ist meine Gesund heit diesen Winter beßer gewesen, voriges Frühjahr hatte ich eine üble attaque, die Gicht schien sich auf die Brust zu legen, und ich war sehr schwach, es war grade in der Zeit daß meine Schwiegerinn hier war. Im Vertrauen muß ich dir sagen, daß ich sie nicht so gefunden habe, als ich wünschte, es ist wahr sie hat Verstand, und hat ihn für die gewöhnliche Geselligkeit ausgebildet, sie ist auch sehr angenehm wenn sie will, aber dennoch erkenne ich sie für keine ächte Schlegeln, Eitelkeit, und Eigennutz beherschen sie wechsels weise, ud mit aller ihrer passionirten Liebe für ihre Pflegetochter hat sie doch wenig Herz, oder meine ganze Menschen kenntniß müßte mich täuschen glaube nicht daß ich mit Vorurtheilen sie angesehen, ich wünschte vielmehr herzlich sie recht gut zu finden, ud hatte mich mit aller möglichen Nachsicht ausgerüstet, aber es hat [4] sich mir aufgedrungen. Wir haben uns einander nichts in den Weg gelegt, also ist keine Persönlichkeit dabey, ich habe bey meiner Schwachkeit das mögliche gethan sie zu amusiren freylich war das schwer, mein Haus ist jetzt nicht mehr so eingerichtet wie es wohl sonst war, vile Gäste zu sehen leidet unser Beutel und unser Alter nicht mehr, doch unterließ ich auch nicht ihr meine Freunde bey mir zu sehen, die uns alle der Reihe nach wieder baten, freylich sind 7 Wochen lang auszufüllen wenn man immer Zerstreuungen haben will. Gustschen wandte ihre paar Dukaten dran sie auf der Gallerie etc. herum zu führen den Kunstsinn aber hat sie gar nicht gebildet es schien sie vielmehr zu enuyiren auch die Kirchenmusicken schienen keinen besondern effect zu machen, die Natur machte Effect sie mußte aber dazu in einer eleganten Parthie ein geflochten seyn. Unser Tisch mochte ihr zu dürftig scheinen, daß alles aber hätte ich ihr gern verziehen wenn ich nur mehr Herzlichkeit, ud Spuren eines edlen Sinnes in ihr gefunden hätte.
Doch bleibt dieß ganz unter uns lieber Wilhelm. Seitdem du wieder in Deutschlan[d] bist scheinst du mir wieder so nahe zu seyn daß ich eine eigne Freude darinnen finde dir meine Gedanken mitzutheilen und zu vertrauen. Mit meinen Schwiegersohn bi[n] ich zufrieden es scheint ihm ein Ernst Gus[t]chen glücklich zu machen. Gustchen entfaltet sich immer mehr sie lebt ganz fü[r] die Kunst ihr innigster Wunsch ist einmal nach Italien zu reisen, ich muß gestehen, wenn wir es möglich machen könnten, würden wir es gern thun, alles was Gustchen in ihrer Kunst vorwärts bringt ist im End mehr zu ihrem Lebensglück, ud [3] diesem opfern wir gern alles auf. Daß Friedrich mit dem Kayser nach Rom reißt wirst du schon wissen, mir selbst hat er es nicht geschrieben, aber der Prinz Anton [2] hat es uns sagen laßen, daß es ihm der Kayser geschrieben, so muß es doch wahr seyn. Die Veite sollen sich mit ihrer Kunst einen Nahmen machen. Die Büchtingen hat abermals ein Kind bekommen ud ist gesund. Sie kann füglich alle Jahre ihr Kind bekommen, denn seine Geschäfte gehen so herlich [1] daß er gewiß der reichste Kaufmann in Hannover werden wird
[1] Mein geliebter Bruder
Hast du denn meinen Brief den ich dir mit dem Herrn von Malsburg geschrieben bekommen ich sehne mich gar zu sehr nach einem Brief von dir, und zu hören wie dir deine neue Lage gefällt. Es ist nichts geringes in ältern Jahren sein Leben ganz neu umzugestalten, mir würde schwindeln dabey. Schreibe mir ja recht umständlich denn glaube mir du fändest bey mir das redliche Herz einer Freundinn. Findest du in deinen neuen Verhältnißen, Freunde die dir werth sind? sind deine übrigen Verhältniße nicht hemmend? wird es dir nicht unangenehm dich nach deinem bisherigen freyen Leben dich in den Regelmäßigen Kreiß von Arbeiten zu schmiegen? ud deine liebe Frau wie geht es ihr? findet sie sich in den neuen Ort denn Heidelberg welches sie verlaßen soll ja ein wahres Paradies seyn? Findet ihr euch beide recht glücklich mit einander, ich hoffe und wünsche es und will recht eifrig dafür beten. Du mußt diese Frage meiner Liebe verzeihen, für gewöhnliche Menschen sorge ich nicht die finden sich in ihrem Gleise, ud leben wenn auch nicht mit einander doch neben einander recht ruhig her, bey außerordentlichen Menschen aber bedeutet das mehr, und ist unendlich schwieriger, sie nehmen nicht das Schicksal wie es komt mit ihren Flecken ud Mängeln, sie fühlen Kraft in sich, sich ein eignes Glück selbst zu gestalten, nach ihren eignen Ansichten, und fehlt ihnen dabey die Nachgiebigkeit sich in andere Eigenthümlichkeiten einzustudieren so gibt dieß Dissonanzen doch die Liebe die mächtige Liebe, eint alles [2] und so hoffe ich auch daß die Euer Leben zu einem Paradiese umschaffen soll, dein Herz verdient es, es ist so innig zart fühlend für leid Weh ud Glück! Ich bitte dich recht inständig lieber Wilhelm schreibe doch an den guten H. von Malsburg, es ist ein gar liebens würdiger angenehmer Mann, er verehrt dich so innig, und wartet recht ängstlich auf eine Antwort von dir auf seine überschickte Uebersetzung des Calderons, er sagte mir letztens. Ihr Herr Bruder findet mein Buch gewiß recht schlecht weil er gar nicht antwortet, ich suchte allerley Entschuldigungen hervor, thue es mir zu Liebe und setze dich hin und schreibe ihm ein paar artige Zeilen die ihm Freude machen, warum seyd ihr berühmte Menschen daß ein Brief von euch so vielen Werth hat. Er hat uns letztens eine Uebersetzung de[r] Echo und des Narciß vorgelesen, die mir allerliebst gefallen hat, sie gehörte unter seinen sehr gelungenen. Ich sehe nun immer näher den Grosmütterlichen Freuden, aber auch Aengsten entgegen, Mein Herz fühlt sich innigst bewegt wenn ich an den kleinen Ankömling denke, mit mütterlicher Liebe werde ich ihn empfangen, und mit stillem Vertrauen der großen Führung der göttlichen Vaterhand überlaßen, ich fühle es immer mehr daß irdisches Sorgen nichtig und fruchtlos ist, es dient nur dazu unsre Kraft zu beugen. Täglich mein [3] Tagewerk mit Muth anzugreifen, nichts zu vernachläßigen was die Klugheit mir eingibt und übrigens so vil als möglich Gelaßen zu zu sehen wie sich die Dinge allmählig gestalten, das ist jetzt mein Losungswort
Wenn man seinem Ziele näher entgegen tritt so fühlt man die Nichtigkeit des eiteln Mühen und Sorgen. Gott lenkt doch einmal unsre Schicksale, der große Zweck ist unsre Veredlung, wir müßen uns nur mit Kraft ausrüsten jedem Angriff gewachsen zu seyn. – Mein Leben ist diesen Winter heiter gewesen, meine Kinder und wir einig ud häuslich vereint, auch ist meine Gesund heit diesen Winter beßer gewesen, voriges Frühjahr hatte ich eine üble attaque, die Gicht schien sich auf die Brust zu legen, und ich war sehr schwach, es war grade in der Zeit daß meine Schwiegerinn hier war. Im Vertrauen muß ich dir sagen, daß ich sie nicht so gefunden habe, als ich wünschte, es ist wahr sie hat Verstand, und hat ihn für die gewöhnliche Geselligkeit ausgebildet, sie ist auch sehr angenehm wenn sie will, aber dennoch erkenne ich sie für keine ächte Schlegeln, Eitelkeit, und Eigennutz beherschen sie wechsels weise, ud mit aller ihrer passionirten Liebe für ihre Pflegetochter hat sie doch wenig Herz, oder meine ganze Menschen kenntniß müßte mich täuschen glaube nicht daß ich mit Vorurtheilen sie angesehen, ich wünschte vielmehr herzlich sie recht gut zu finden, ud hatte mich mit aller möglichen Nachsicht ausgerüstet, aber es hat [4] sich mir aufgedrungen. Wir haben uns einander nichts in den Weg gelegt, also ist keine Persönlichkeit dabey, ich habe bey meiner Schwachkeit das mögliche gethan sie zu amusiren freylich war das schwer, mein Haus ist jetzt nicht mehr so eingerichtet wie es wohl sonst war, vile Gäste zu sehen leidet unser Beutel und unser Alter nicht mehr, doch unterließ ich auch nicht ihr meine Freunde bey mir zu sehen, die uns alle der Reihe nach wieder baten, freylich sind 7 Wochen lang auszufüllen wenn man immer Zerstreuungen haben will. Gustschen wandte ihre paar Dukaten dran sie auf der Gallerie etc. herum zu führen den Kunstsinn aber hat sie gar nicht gebildet es schien sie vielmehr zu enuyiren auch die Kirchenmusicken schienen keinen besondern effect zu machen, die Natur machte Effect sie mußte aber dazu in einer eleganten Parthie ein geflochten seyn. Unser Tisch mochte ihr zu dürftig scheinen, daß alles aber hätte ich ihr gern verziehen wenn ich nur mehr Herzlichkeit, ud Spuren eines edlen Sinnes in ihr gefunden hätte.
Doch bleibt dieß ganz unter uns lieber Wilhelm. Seitdem du wieder in Deutschlan[d] bist scheinst du mir wieder so nahe zu seyn daß ich eine eigne Freude darinnen finde dir meine Gedanken mitzutheilen und zu vertrauen. Mit meinen Schwiegersohn bi[n] ich zufrieden es scheint ihm ein Ernst Gus[t]chen glücklich zu machen. Gustchen entfaltet sich immer mehr sie lebt ganz fü[r] die Kunst ihr innigster Wunsch ist einmal nach Italien zu reisen, ich muß gestehen, wenn wir es möglich machen könnten, würden wir es gern thun, alles was Gustchen in ihrer Kunst vorwärts bringt ist im End mehr zu ihrem Lebensglück, ud [3] diesem opfern wir gern alles auf. Daß Friedrich mit dem Kayser nach Rom reißt wirst du schon wissen, mir selbst hat er es nicht geschrieben, aber der Prinz Anton [2] hat es uns sagen laßen, daß es ihm der Kayser geschrieben, so muß es doch wahr seyn. Die Veite sollen sich mit ihrer Kunst einen Nahmen machen. Die Büchtingen hat abermals ein Kind bekommen ud ist gesund. Sie kann füglich alle Jahre ihr Kind bekommen, denn seine Geschäfte gehen so herlich [1] daß er gewiß der reichste Kaufmann in Hannover werden wird
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