[1] Den 17ten Novemb[er].
Von moustâche zu sehen. Sie schickt Dir hier eine Abschrift von allein ist. Aber Du nennst nun einmal mit dem gemeinen Sprachgebrauche, Vernunft nur ihren Gebrauch zum Behuf des Verstandes (mittelbare Erkentniß). – Das Herz ist freylich mit dem Triebe, Vernunft, Eins; denn sie sind dasselbe. – Große Anlagen aber zerrüttet keine Ausschweifung so sehr, der Kranke drängt nur die Natur zu kennen, das Schöne und Gute zu wissen, bis alles Leben stumpf wird, und das Herz ohne Rettung verzweifelt. – Du wirst erstaunen, wenn ich Dir eingestehe; daß Schiller iezt ohngefähr hier steht; ich behaupte aber daß Du diesen Gang seines Geistes für sein Wesen selbst genommen hast. Ich glaube den Uebergang von seinen alten zu seinen neuen Werken gefunden zu haben, der mir [4] ehedem unmöglich schien. Nehmlich wer als Jüngling ganz in Einbildung lebt, der muß als Mann ganz im Verstande leben. Aber es müßte doch tiefer hin noch im Verborgnen etwas zum Grunde liegen, das ihn so mächtig von Abgrund zu Abgrund stürtzte. Und dieses ist es, was ich nie aufhören kann, an ihm wie überall für groß zu achten, die Leidenschaft zum Ewigen.
Warum führst Du an, Größe sey ein Begriff? – Sittliche Größe, und von der allein war hier die Rede, ist über allen Begriff erhaben; ja fast über alle Lehre: denn über die Tugend kann man nur den belehren, der sie schon kennt. Groß ist eigentlich nur eine sehr unbestimmte Bezeichnung des Vortreflichen aller Art; wobey gar nicht immer Vergleich und gemeiner Maaßstab statt findet, wie in der Größe, nach der in Preußen die Grenadiere gewürdigt werden. Unschuld, Liebe, reines Gewissen, Gerechtigkeit; sind etwas Absolutes und laßen keine Grade zu, und können wir nach unserm Sprachgebrauche von ihnen sagen, daß sie etwas großes sind. Die Grade des Muthes, des Verstandes, des Lebens aber laßen sich durchaus nicht meßen, weil es keinen gemeinen Maaßstab giebt; und so ist alle Anwendung der Mathematik auf die Moral vergeblicher Versuch. – Den Werth eines menschlichen Dinges, mag es seyn [5] was es will, darf nur der Kundige und der Edle bestimmen (denn nur dieser steht auf dem Ort, von dem man die Welt richtig sieht) und auch dieser hat nur eine Stimme; zu reiner Wahrheit gehört nur – Allwissenheit. Nun scheint nichts so sehr unsre Pflicht als strenge Prüfung. Aber ist es damit gethan, daß wir uns selbst Gewalt anthun, zu bezeichnen, zu erklären, zu beweisen was sich nur fühlen läßt? – Das hilft doch nichts, wenn unser Sinn nicht offen ist nach allen Seiten, jeden Schein ahndet. Ferner da des Menschen Geist sich nur mittelbar kund giebt, auf so unendliche Weisen, deren jede gleichsam eine Sprache ist, und da es dieser Sprachen unendlich viele giebt, so scheint die Kenntniß des Menschen unendlich zu seyn, und wir können Unfehlbarkeit durch keine Methode erreichen. –
Was ich Dir im 1ten Briefe schrieb, muß Deine ganze Energie erwecken mir zu helfen. Ich erwarte mit Ungeduld Deinen Entschluß. Ist er günstig, so bedenke, daß es mir der größte Vortheil ist, wenn es so bald als möglich geschieht. Hättest Du bey Deiner Reise nach Deutschland daran gedacht, so wäre ich nun gerettet!
[6]
[7]
[8]