[1] Ew. Hochwohlgebornen gütiger und freundschaftlicher Brief hat mir eine ungemein große Freude gemacht, und ich statte Ihnen meinen herzlichsten Dank dafür ab. Ich bitte Sie aber sehr auf keine Weise zu glauben, daß ich nur einen Augenblick hätte über Ihr Stillschweigen können empfindlich seyn. Es würde mich ängstigen und vom eigenen Schreiben abhalten, wenn ich mir dächte, daß Sie Sich in einer Art moralischer Verbindlichkeit hielten, um einer Antwort willen von andern Beschäftigungen abzugehen, und ich bitte Sie recht herzlich auch künftig vollkommene Freiheit darin zu beobachten.
Ich hatte überdies in der Zwischenzeit
Es ist mir sehr schmeichelhaft, daß Ew. Hochwohlgebornen [2]
Daß es ursprünglich metaphysische Ausdrücke geben kann, möchte ich auf keine Weise bestreiten. Was Ew. Hochwohlgebornen über dêha in dieser Beziehung sagen ist nicht nur höchst scharfsinnig, sondern auch so ansprechend, daß man auf den ersten Anblick gleich es für wahr zu halten geneigt ist. Andre Begriffe sind aber wohl offenbar erst nach und nach übergetragen, und dahin möchte yôga gehören. Das aber dürfte doch wohl immer wahr bleiben, was ich in meinen Bemerkungen sage, daß auch den ursprünglichst metaphysischen Begriffen eine sinnliche Anschauung zum Grunde liegt. Auch in dem von Ihnen angeführten Beispiel ist es nicht anders. Allein in Sprachen, wo die Speculation schon seit sehr frühen Zeiten gewaltet hat, ist dies bei weitem nicht immer nachzuweisen. Die Idee der drei Sprachgattungen sollten Sie doch einmal ausführen. Ich bin bis auf einen gewissen Grad über das Wirken der Urvölker auf die Sprachen ganz Ihrer Meinung, ich unterscheide ebenso Natur und Erfahrung, glaube an das Divinatorische der noch kräftigen Natur, halte dafür, daß Vieles in den Sprachen kann durch einen glücklichen Wurf entstanden seyn, nehme auch ursprüngliche Flexion an; indeß halte ich mich immer innerhalb dessen, was wir gewissermaßen noch an Menschen sehen, oder wenigstens menschlich schließen können, und lasse diese Dinge, als durch nichts [4] Factisches geradezu beweisbar (oder besser insofern sie das nicht sind) als Möglichkeiten stehen, brauche sie nicht sowohl direct, als nur um nicht, indem ich sie abläugnete, Schranken zu ziehen, von denen die Wirklichkeit frei ist, und welche die Untersuchung einengen. Nichts ist mir so widrig, als bloß mechanische Erklärung. Dagegen gehen Sie, soviel ich sehen kann, viel weiter, setzen Uebermenschliches, oder wenigstens Menschliches, wovon wir nirgends ein Analogon ahnden können, voraus, scheinen das Mechanische, auch wo es seyn kann und ist, ganz verdrängen zu wollen, und sehen in einigen Sprachen nur jenen kühnen freien Gang einer schöpferisch bildenden Kraft, indeß Sie andre dem gebundnen und mühseligen, der irdisch an einander knüpft, hingeben. Der Hauptunterschied zwischen uns aber möchte wohl darin liegen, daß ich furchtsamer historisch zu Werke gehe. Sie reden von den Urvätern des Menschengeschlechts. Bis dahin scheint mir keine Sprache zu führen. Ich befinde mich immer nur in einer Mitte der Bildung, wo von den Fortschritten mehr oder weniger sichtbar, aber der Anfang ganz dunkel ist. Daher ist mir auch keine Sprache rein, alle, die wir kennen, sind schon gemischt. Das Glück des Organismus der sehr gelungenen scheint mir nun darin zu liegen, daß da, wo ihre Eigenthümlichkeit aus schon vorhandnen Elementen entstand (denn einen Concretions- oder Congelations- oder Krystallisationspunkt muß es für jede Sprachindividualität geben), diese Sprachen glücklich und rein organisirten Stämmen unter günstigen Umständen angehörten. Neben diesen glücklichen Ausnahmen, denn so kann man sie doch nennen, giebt es aber eine Anzahl weniger gerathener Bildungen, und da Vieles doch allen Menschen gemeinsam ist, Vieles auch allen Völkern in den Lagen, wo die gesellschaftliche Verfassung noch auf niedrigen Stufen steht, so bieten auch die glücklichst organisirten Sprachen Unvollkommenheiten, und die unvollkommenen einzelne Erstaunen erregende Vorzüge dar. Man muß nur viele einzelne Sprachen untersuchen, die Zergliederung recht anstellen, überall das Gemeinsame sorgfältig vom Abweichenden und Eigenthümlichen abscheiden, und eine jede Sprache aus dem Gesichtspunkt betrachten, aus dem sie der Nation [5] erscheinen mußte, die sie sprach. Diesen Weg suche ich zu gehen, und habe diese Methode noch neulich am Chinesischen versucht, das wohl in grammatischer Hinsicht eine der aller merkwürdigsten Sprachen ist. Sie ist der wahre entgegengesetzte Pol des Sanskrits, diese beiden Sprachen sind gleichsam die vollkommne Grammatik und die Grammatiklosigkeit. Zwischen beiden liegen dann die zahllosen Mundarten mit unvollkommneren Grammatiken.
Es ist wohl sehr schwer zu sagen, ob die Anomalieen die spätern oder frühern Bildungen sind. Ich glaube beides, allgemein läßt sich darin nichts entscheiden. Ich weiß nicht ob Ew. Hochwohlgebornen handeln und wirken so scharf aufgefaßt worden seyn? Was ich am meisten entgegensetzen möchte, ist, daß die ganze Sprache in ihrem tiefsten Wesen Eine große Prosopopöe ist, wo das logische Urtheil a = b verwandelt wird in ein Vorstellen, daß a handelt oder leidet und in der einen oder andern Beziehung mit b steht. Gerade der frischere Mensch mit noch einzeln mehr verständlicher Sprache mußte das viel lebendiger fühlen, als wir, die wir schon soviel allgemeine Verben haben, die den Begriff dem = der Mathematik so nahe, als möglich, bringen. Ohne Rücksicht auf die Bedeutung mußte also Subject und Object scharf geschieden da stehen. Die Homonymie der Neutra in diesem Fall scheint mir nur daher zu kommen, [6] daß die Declination der Neutra überhaupt eine unvollkommnere ist. Dies zeigt das Sanskrit deutlich, wo Neutrum und Wurzelwort so oft durch nichts verschieden sind. Das Neutrum ist also noch halb Wurzelwort. Daß dies aber so ist, wird durch Ew. Hochwohlgebornen Bemerkung sehr schön erklärt. Nur das so lebendig hervortretende, daß man Geschlecht daran unterscheiden zu müssen glaubte, wurde sorgfältiger organisirt. Daß Dual und Plural mehr homonyme Casus haben, als der Singular, läßt sich wohl daher ableiten, daß man diese Formen ursprünglich weniger brauchte, und daher auch sorgloser behandelte.
Daß Ew. Hochwohlgebornen virtualiter vorhanden gewesen, wenn sie auch nicht in Ausübung gebracht wurde. Wenn Sie damit die Stelle meiner Abhandlung vergleichen, wo ich S. 14. vom geistigen Theile des Alphabets, noch ohne Zeichen fürs Auge, spreche, so werden Sie sehen, daß es im Grunde dasselbe ist. Ich glaube nur nicht, daß die Zeichen dann lange fehlen konnten. Daurende Stoffe waren dazu nicht nothwendig. Die Hauptsache war nur, daß man den Ton im Bild schuf. Denn es scheint mir im Menschen zu liegen, daß, was sein Geist sehr lebendig ergreift, ihn auch reizt, es sich durch alle Sinne anschaulich zu machen. Ein großer Zeitraum konnte also, meines Erachtens, nicht zwischen dem Aussprechen und dem Bezeichnen eines abgesonderten Buchstabens, den man als Sylbenelement, nicht als ein eignes Wort, erkannte, liegen.
Des index verborum zur
Das pantheistisch streichen Ew. Hochwohlgebornen ja aus, wo es sich betreten läßt. Es thut hier gar nichts zur Sache. In pantheistisch wegstreichen. Denn ich habe mich gar nicht darauf eingelassen über das System zu sprechen, es in die Reihe der andern bekannten zu classificiren, oder sonst etwas darüber zu bestimmen. Ich habe bloß gesucht, die in der ganzen Gita zerstreuten Lehrsätze zu sammeln, und mit den Beweisstellen zu ordnen. Meine ganze Abhandlung ist eigentlich nur ein ausführliches Argumentum. Darauf allein habe ich mich beschränkt und aus vielen Gründen. Auf diese Weise aber kann meine Arbeit dem, der nur das Gedicht selbst studiren will, nützlich seyn. Ich kann nicht läugnen, daß es mir viel Mühe gemacht hat, ehe ich mir das Ganze habe recht vor Augen stellen können, und ich will mich glücklich schätzen, wenn Sie finden sollten, daß es mir gelungen ist.
Mein Brief ist aber von einer übermäßigen Länge geworden. Der Inhalt des Ihrigen hatte mich aber so angezogen, daß es mir unmöglich gewesen wäre, nicht auf jede einzelne Stelle desselben wieder einzugehen. Erhalten Sie mir Ihr wohlwollendes Andenken und Ihre Freundschaft, und nehmen Sie die Versichrung meiner ausgezeichnetesten Hochachtung und Ergebenheit an.
Humboldt.