• August Wilhelm von Schlegel to Jacob Grimm

  • Place of Dispatch: Bonn · Place of Destination: Göttingen · Date: 13.10.1832 bis 14.10.1832
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Jacob Grimm
  • Place of Dispatch: Bonn
  • Place of Destination: Göttingen
  • Date: 13.10.1832 bis 14.10.1832
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 501‒504.
  • Incipit: „Bonn d. 13ten Oct. [18]32
    Kurz vor meiner Abreise nach Paris empfing ich einen Brief von Ihnen, mein hochverehrter Herr und Freund. [...]“
    Language
  • German
Bonn d. 13ten Oct. [18]32
Kurz vor meiner Abreise nach Paris empfing ich einen Brief von Ihnen, mein hochverehrter Herr und Freund. Da ich nicht mehr Zeit hatte ihn zu beantworten, so nahm ich ihn mit: er ist mir aber unterwegs abhanden gekommen, wiewohl ich sonst Ihre Briefe sorgfältig aufzubewahren pflege. Anbei sende ich Ihnen eine kleine Schrift: wenn Sie in den Göttingischen Anzeigen etwas darüber sagen wollten, es würde mir sehr angenehm seyn. Ich fand noch keine Muße, Ihre Rechtsalterthümer zu lesen: meine Freunde sagen mir aber, es sey nicht nur ein gründlich belehrendes, sondern auch ein sehr unterhaltendes Buch. Dieß wundert mich gar nicht; aber wie Sie alle diese großen Arbeiten, neben Ihren Amtsgeschäften zu Stande bringen, das begreife ich nicht. Vermuthlich haben Sie eine andre Art von Tagen als unser einer: von acht und vierzig Stunden wenigstens. Ich sehe, daß Sie im Sanskrit nicht bis zur lebendigen Bekanntschaft gegangen sind. Bei allem was Sie voraus haben, hätte es Ihnen nur wenig Mühe und Zeit gekostet, und die epische Poesie würde Ihnen doch große Freude machen. Auch brauchten Sie sich dann nicht an Bopp als Ihren Gewährsmann zu halten, von dem Sie sogar das Glossar, ein wahres Pfenningsbuch, citiren. Dem Auslande gegenüber habe ich es schicklich gefunden, ihm ein bedingtes Lob zu ertheilen; mein eigentliches Urtheil ist aber, quʼil fait entierement fausse route, et que ses disciples jettent un pauvre coton. Wenn Sie sagen, er habe die Entstehung gewisser Casus aus einer Präposition dargethan; so kann ich nicht beistimmen. Meines Erachtens hat er nichts dargethan, als was wir längst wußten, übrigens aber nur kahle Hypothesen ans Licht gebracht, ohne historische Grundlage und in ganz unphilosophischer Richtung.
Die Lesung Ihrer Grammatik veranlaßt mich immer zu mancherlei Bemerkungen: aber das alles schriftlich abzuhandeln, wäre zu weitläuftig. Nur einiges zur Probe. Gr. III, p. 296. Die Interjection jarîa halte ich für nichts anders als eine Verstümmelung der Namen Jesus Maria! Dieß paßt vortrefflich auf die Stellen im Rother und den Nibelungen. Die falsche Leseart des S.[ankt] G.[aller] Codex findet sich auch in meinen Varianten. Wenn die letzte Sylbe hieße, so würde ich glauben, der Abschreiber habe noch den Joseph hineinbringen wollen, den die hiesigen Landleute bei solchem Ausruf niemals vergessen. Den Biterolf habe ich nicht zur Hand; aber in der Stelle Diut. III, p. 96 vermuthe ich Schreibfehler! Mich dünkt ir kann nicht entbehrt werden. Ich lese: ach ir gůten chnehte. Eine leidenschaftliche Interjection wäre hier nicht angebracht. Wie gang und gebe solche Ausrufungen im Mittelalter waren, kann uns der Beiname des Österreichischen Herzogs Heinrich Jasamergott beweisen, wobei ich es Herrn Mone überlassen will, einen heidnischen Gott Jasamer daraus zu fabriciren. Die Verstümmelung mochte anfangs absichtlich seyn, um dem Vorwurfe der Entweihung auszuweichen; nachher wurde sie gedankenlos wiederholt, und so konnte es kommen, daß in Jemine (meines Erachtens nichts anders als Jesus mein) die Quantität der letzten Sylben vertauscht ward.
Den Litthauischen Gott Perkunas habe ich längst mit einem Namen des Indras zusammengestellt. Parjanyas (das Englische j, versteht sich) so heißt er in seiner Eigenschaft als Jupiter pluvius. Das Wort bedeutet auch den befruchtenden Regen, eine Donnerwolke, endlich den Donner selbst. Doch kann ich mich nicht erinnern, es in der letzten Bedeutung im Gebrauch gefunden zu haben.
Die vertraulichen Abkürzungen der Personennamen sind allerdings uralt, aber seltsam, und oft so willkührlich, daß alle Etymologie daran scheitern muß, wo uns nicht die wahren Originale ausdrücklich gemeldet werden. Ich kann Ihnen hier einen Beitrag liefern, aus dem Venantius Fortunatus: Ragnemundus – Rucco. – Bei Totila bin ich nicht befriedigt; denn ich frage weiter: was bedeutete Toto? Ich denke immer, er hieß Theodorich, und wurde so als der kleine bezeichnet. Was ist das Original von Pipin? Schwer zu errathen! Sehen Sie nur nach, was Ménage für närrisches Zeug darüber vorbringt.
Nehmen Sie mit diesem Geschwätz vorlieb. Wie bald ich einmal dazu kommen werde, Sie wieder zu besuchen, sehe ich noch nicht voraus. Aber gedenken Sie denn niemals unsern Rhein zu begrüßen? Sie haben, glaube ich, auf diesen Fall meinem Freunde Welcker versprochen bei ihm zu wohnen, sonst würden in meinem Hause Zimmer für Sie bereit stehn. Aber Welcker macht keine Haushaltung und meine Küche ist ausgemacht besser als die der Gasthöfe. Das συμφιλολογεῖν würde mir großes Vergnügen gewähren.
Nun, leben Sie recht wohl, und empfangen Sie die Versicherung meiner Bewunderung, meiner Dankbarkeit für so manche Belehrung, und meiner freundschaftlichsten Gesinnungen.
A. W. v. Schlegel
d. 14ten Oct. Ich vergaß, Ihnen einige Nachricht von meinen Arbeiten zu geben. Der zweite Band Text des Râmâyańa liegt schon seit mehr als enem Jahre fertig gedruckt, ich will ihn aber nicht eher ausgeben, als bis ich wenigstens den ersten Band der Übersetzung zugleich mit liefern kann. Jetzt bin ich nun mit dieser Arbeit beschäftigt, die mir viele Mühe macht. Interlinear-Versionen wie sie Bopp und seine Schüler geben, sind leicht zu machen, aber sie sind nur für Abcschüler brauchbar. Dazu verabscheue ich die barbarische Latinität. Den Geist und Gehalt in lebendiger Wendung nachzubilden, ähnliche Eindrücke hervorzubringen, das ist die Kunst. Mit dem Hitopadesa wird es mir leichter, und ich hoffe, das Buch soll als ein ganz neues Buch erscheinen. Lassen hat den ersten Act des Schauspiels Mâlatî und Mâdhava herausgegeben, und in dem ersten Heft seines Gymnosophista ein in 70 Distichen abgefaßtes System der Metaphysik, beides mit kritischen Anmerkungen, das letzte auch mit einer Übersetzung. Einer meiner Schüler, Dr. Windischmann, einen Auszug aus den Lehren des Śankara-âchârya. Sie sehen also, die Reihe ist an die Metaphysik gekommen. Längst ermahne ich meine jungen Freunde zur Mathematik und Astronomie. Lehrbücher der Astronomie in Versen mit der größten Eleganz und wissenschaftlichen Präcision abgefaßt, das wäre doch etwas neues.
Ich habe mich besonnen, daß es besser seyn wird, diesen Brief besonders abzusenden, zwei Exemplare meiner Schrift, eins für Sie und eins für die Societät der Wissenschaften sollen unverzüglich nachfolgen. Der Titel ist: Réflexions sur lʼetude des langues asiatiques. Leben Sie nochmals wohl
Ihr
A. W. v. S.
Bonn d. 13ten Oct. [18]32
Kurz vor meiner Abreise nach Paris empfing ich einen Brief von Ihnen, mein hochverehrter Herr und Freund. Da ich nicht mehr Zeit hatte ihn zu beantworten, so nahm ich ihn mit: er ist mir aber unterwegs abhanden gekommen, wiewohl ich sonst Ihre Briefe sorgfältig aufzubewahren pflege. Anbei sende ich Ihnen eine kleine Schrift: wenn Sie in den Göttingischen Anzeigen etwas darüber sagen wollten, es würde mir sehr angenehm seyn. Ich fand noch keine Muße, Ihre Rechtsalterthümer zu lesen: meine Freunde sagen mir aber, es sey nicht nur ein gründlich belehrendes, sondern auch ein sehr unterhaltendes Buch. Dieß wundert mich gar nicht; aber wie Sie alle diese großen Arbeiten, neben Ihren Amtsgeschäften zu Stande bringen, das begreife ich nicht. Vermuthlich haben Sie eine andre Art von Tagen als unser einer: von acht und vierzig Stunden wenigstens. Ich sehe, daß Sie im Sanskrit nicht bis zur lebendigen Bekanntschaft gegangen sind. Bei allem was Sie voraus haben, hätte es Ihnen nur wenig Mühe und Zeit gekostet, und die epische Poesie würde Ihnen doch große Freude machen. Auch brauchten Sie sich dann nicht an Bopp als Ihren Gewährsmann zu halten, von dem Sie sogar das Glossar, ein wahres Pfenningsbuch, citiren. Dem Auslande gegenüber habe ich es schicklich gefunden, ihm ein bedingtes Lob zu ertheilen; mein eigentliches Urtheil ist aber, quʼil fait entierement fausse route, et que ses disciples jettent un pauvre coton. Wenn Sie sagen, er habe die Entstehung gewisser Casus aus einer Präposition dargethan; so kann ich nicht beistimmen. Meines Erachtens hat er nichts dargethan, als was wir längst wußten, übrigens aber nur kahle Hypothesen ans Licht gebracht, ohne historische Grundlage und in ganz unphilosophischer Richtung.
Die Lesung Ihrer Grammatik veranlaßt mich immer zu mancherlei Bemerkungen: aber das alles schriftlich abzuhandeln, wäre zu weitläuftig. Nur einiges zur Probe. Gr. III, p. 296. Die Interjection jarîa halte ich für nichts anders als eine Verstümmelung der Namen Jesus Maria! Dieß paßt vortrefflich auf die Stellen im Rother und den Nibelungen. Die falsche Leseart des S.[ankt] G.[aller] Codex findet sich auch in meinen Varianten. Wenn die letzte Sylbe hieße, so würde ich glauben, der Abschreiber habe noch den Joseph hineinbringen wollen, den die hiesigen Landleute bei solchem Ausruf niemals vergessen. Den Biterolf habe ich nicht zur Hand; aber in der Stelle Diut. III, p. 96 vermuthe ich Schreibfehler! Mich dünkt ir kann nicht entbehrt werden. Ich lese: ach ir gůten chnehte. Eine leidenschaftliche Interjection wäre hier nicht angebracht. Wie gang und gebe solche Ausrufungen im Mittelalter waren, kann uns der Beiname des Österreichischen Herzogs Heinrich Jasamergott beweisen, wobei ich es Herrn Mone überlassen will, einen heidnischen Gott Jasamer daraus zu fabriciren. Die Verstümmelung mochte anfangs absichtlich seyn, um dem Vorwurfe der Entweihung auszuweichen; nachher wurde sie gedankenlos wiederholt, und so konnte es kommen, daß in Jemine (meines Erachtens nichts anders als Jesus mein) die Quantität der letzten Sylben vertauscht ward.
Den Litthauischen Gott Perkunas habe ich längst mit einem Namen des Indras zusammengestellt. Parjanyas (das Englische j, versteht sich) so heißt er in seiner Eigenschaft als Jupiter pluvius. Das Wort bedeutet auch den befruchtenden Regen, eine Donnerwolke, endlich den Donner selbst. Doch kann ich mich nicht erinnern, es in der letzten Bedeutung im Gebrauch gefunden zu haben.
Die vertraulichen Abkürzungen der Personennamen sind allerdings uralt, aber seltsam, und oft so willkührlich, daß alle Etymologie daran scheitern muß, wo uns nicht die wahren Originale ausdrücklich gemeldet werden. Ich kann Ihnen hier einen Beitrag liefern, aus dem Venantius Fortunatus: Ragnemundus – Rucco. – Bei Totila bin ich nicht befriedigt; denn ich frage weiter: was bedeutete Toto? Ich denke immer, er hieß Theodorich, und wurde so als der kleine bezeichnet. Was ist das Original von Pipin? Schwer zu errathen! Sehen Sie nur nach, was Ménage für närrisches Zeug darüber vorbringt.
Nehmen Sie mit diesem Geschwätz vorlieb. Wie bald ich einmal dazu kommen werde, Sie wieder zu besuchen, sehe ich noch nicht voraus. Aber gedenken Sie denn niemals unsern Rhein zu begrüßen? Sie haben, glaube ich, auf diesen Fall meinem Freunde Welcker versprochen bei ihm zu wohnen, sonst würden in meinem Hause Zimmer für Sie bereit stehn. Aber Welcker macht keine Haushaltung und meine Küche ist ausgemacht besser als die der Gasthöfe. Das συμφιλολογεῖν würde mir großes Vergnügen gewähren.
Nun, leben Sie recht wohl, und empfangen Sie die Versicherung meiner Bewunderung, meiner Dankbarkeit für so manche Belehrung, und meiner freundschaftlichsten Gesinnungen.
A. W. v. Schlegel
d. 14ten Oct. Ich vergaß, Ihnen einige Nachricht von meinen Arbeiten zu geben. Der zweite Band Text des Râmâyańa liegt schon seit mehr als enem Jahre fertig gedruckt, ich will ihn aber nicht eher ausgeben, als bis ich wenigstens den ersten Band der Übersetzung zugleich mit liefern kann. Jetzt bin ich nun mit dieser Arbeit beschäftigt, die mir viele Mühe macht. Interlinear-Versionen wie sie Bopp und seine Schüler geben, sind leicht zu machen, aber sie sind nur für Abcschüler brauchbar. Dazu verabscheue ich die barbarische Latinität. Den Geist und Gehalt in lebendiger Wendung nachzubilden, ähnliche Eindrücke hervorzubringen, das ist die Kunst. Mit dem Hitopadesa wird es mir leichter, und ich hoffe, das Buch soll als ein ganz neues Buch erscheinen. Lassen hat den ersten Act des Schauspiels Mâlatî und Mâdhava herausgegeben, und in dem ersten Heft seines Gymnosophista ein in 70 Distichen abgefaßtes System der Metaphysik, beides mit kritischen Anmerkungen, das letzte auch mit einer Übersetzung. Einer meiner Schüler, Dr. Windischmann, einen Auszug aus den Lehren des Śankara-âchârya. Sie sehen also, die Reihe ist an die Metaphysik gekommen. Längst ermahne ich meine jungen Freunde zur Mathematik und Astronomie. Lehrbücher der Astronomie in Versen mit der größten Eleganz und wissenschaftlichen Präcision abgefaßt, das wäre doch etwas neues.
Ich habe mich besonnen, daß es besser seyn wird, diesen Brief besonders abzusenden, zwei Exemplare meiner Schrift, eins für Sie und eins für die Societät der Wissenschaften sollen unverzüglich nachfolgen. Der Titel ist: Réflexions sur lʼetude des langues asiatiques. Leben Sie nochmals wohl
Ihr
A. W. v. S.
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