Nach so langen Jahren der Entfernung muß ich Dich, theurer Freund, doch endlich einmal wieder brüderlich begrüßen. Es war mir sehr Ernst, Dich vorigen Sommer von Berlin aus zu besuchen: ich foderte deinen Bruder dazu auf; er konnte sich nicht los machen; und so unterblieb es, da mich ohnehin Familien-Verhältnisse ganz den entgegengesetzten Weg nach Hamburg und Hannover hinzogen. Dein Bruder hat herrliche Werke ans Licht gefördert, und ist immer der alte getreue. Deine Novellen habe ich mit unendlichem Ergötzen gelesen – besonders die Zopfgeschichte – so etwas ist seit dem Don Quixote gar nicht wieder geschrieben. Das Dichterleben ist hinreißend, es sollte ins Englische übersetzt werden – farebbe furore! In meinen jetzt gesammelten kritischen Schriften ist von dir die Rede, zwar kurz, aber ich hoffe, du wirst zufrieden seyn. Meine „Berichtigung einiger Mißdeutungen“ wird dir nun auch wohl schon vorgekommen seyn. Ich habe mich schwer dazu entschlossen, aber das Verhältniß zu Friedrich nöthigte mir diese Erklärung ab. Ich bin mit seinen neueren schriftstellerischen Offenbarungen im höchsten Grade unzufrieden. Wars nicht ein Jammer, daß ein solcher Geist so zu Grunde gegangen ist? Vor allen Dingen ermahne ich dich, bitte dich, beschwöre ich dich, deine Cevennen zu vollenden. Es ist nicht nur ein hinreißendes Werk, sondern auch in den jetzigen Zeitläufen eine männliche Handlung.
Komm doch einmal an den Rhein, laß dich von [2] deinem Bruder mitbringen. Du solltest herzlichst willkommen seyn, und würdest mich ganz artig eingerichtet finden. Meine Gesundheit hatte sehr gelitten, hat sich aber wieder befestigt. Fast täglich durchfliege ich die schöne Umgegend auf edlen und muthigen Rossen. Ich bin heiterer wie je, die alte Neigung zum Scherze ist auch immer da.
Lebe tausendmal wohl und behalte mich in freundschaftlichem Andenken
Ewig dein
A W v Schlegel