• August Wilhelm von Schlegel to Sulpiz Boisserée

  • Place of Dispatch: Bonn · Place of Destination: Stuttgart · Date: 26.01.1822
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Sulpiz Boisserée
  • Place of Dispatch: Bonn
  • Place of Destination: Stuttgart
  • Date: 26.01.1822
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 365374954
  • Bibliography: Sulpiz Boisserée. Erster Band. Stuttgart 1862. S. 403‒404.
  • Incipit: „Bonn, 26. Januar 1822.
    Theuerster Freund! Nach Empfang Ihres Briefes vom 4. Januar habe ich augenblicklich, also nun schon vor vierzehn Tagen, [...]“
    Language
  • German
Bonn, 26. Januar 1822.
Theuerster Freund! Nach Empfang Ihres Briefes vom 4. Januar habe ich augenblicklich, also nun schon vor vierzehn Tagen, meine Anzeige des Bildes von Gérard an Sie abgesendet. Ich hoffe, sie wird richtig angekommen seyn und wünsche, der kleine Aufsatz möge Ihrer Erwartung einigermaßen entsprochen haben.
Was Goethe über die indischen Idole gesagt, habe ich noch nicht gelesen, meine aber ich hätte auf jeden Fall schon im voraus darauf geantwortet. Es ist närrisch, daß der alte Herr die indische Poesie loben will, sich aber dabei verstockt, die Mythologie durchaus verwerflich zu finden. Es ist gerade als ob man die Früchte eines Baumes loben, den Stamm und die Wurzel aber schelten wollte. Goethe muß schlecht im Pausanias bewandert seyn, sonst würde er wissen, daß die griechischen Idole ebenfalls sinnbildliche Ungeheuer waren, bis sich die Kunst völlig emancipirte, wie es denn die Diana von Ephesus immer geblieben ist.
Ich habe dieselbe Klage zu führen wie Sie, ich bin von der Last meiner Arbeiten fast erdrückt, doch dabei recht gesund und wohlgemuth. Ich hoffe es so einzurichten, daß ich den Frühling und Sommer ein wenig freier aufathmen kann. Auf jeden Fall habe ich immer Muße zu heiterer geselliger Unterhaltung, so oft Sie unser Bonn besuchen. Es ist wahrlich Schade, daß Leute, die einander etwas zu sagen hätten, entfernt von einander leben und sich nur auf so kurze Zeit sehen. Haben Sie wohl wieder an unsere Rotunde im Titurel gedacht? Freilich müßte man auf eine Zeit lang beisammen seyn, um das auszuführen. Ich könnte allerdings die Handschriften von Heidelberg kommen lassen, und die ganze Beschreibung im voraus philologisch bearbeiten; aber wie soll ich jetzt dazu kommen? ‒ Haben Sie das letzte vortreffliche Heft der Pachydermen von dʼAlton gelesen? Mich dünkt, das verdient eine Anzeige im Kunstblatt, denn der Gedanke, das Knochengerüste der organischen Gebilde in den äußern Umriß hinein zu zeichnen, ist auch für die bildende Kunst sehr fruchtbar.
Leben Sie tausendmal wohl und lassen Sie mich bald wieder etwas von sich hören.
Bonn, 26. Januar 1822.
Theuerster Freund! Nach Empfang Ihres Briefes vom 4. Januar habe ich augenblicklich, also nun schon vor vierzehn Tagen, meine Anzeige des Bildes von Gérard an Sie abgesendet. Ich hoffe, sie wird richtig angekommen seyn und wünsche, der kleine Aufsatz möge Ihrer Erwartung einigermaßen entsprochen haben.
Was Goethe über die indischen Idole gesagt, habe ich noch nicht gelesen, meine aber ich hätte auf jeden Fall schon im voraus darauf geantwortet. Es ist närrisch, daß der alte Herr die indische Poesie loben will, sich aber dabei verstockt, die Mythologie durchaus verwerflich zu finden. Es ist gerade als ob man die Früchte eines Baumes loben, den Stamm und die Wurzel aber schelten wollte. Goethe muß schlecht im Pausanias bewandert seyn, sonst würde er wissen, daß die griechischen Idole ebenfalls sinnbildliche Ungeheuer waren, bis sich die Kunst völlig emancipirte, wie es denn die Diana von Ephesus immer geblieben ist.
Ich habe dieselbe Klage zu führen wie Sie, ich bin von der Last meiner Arbeiten fast erdrückt, doch dabei recht gesund und wohlgemuth. Ich hoffe es so einzurichten, daß ich den Frühling und Sommer ein wenig freier aufathmen kann. Auf jeden Fall habe ich immer Muße zu heiterer geselliger Unterhaltung, so oft Sie unser Bonn besuchen. Es ist wahrlich Schade, daß Leute, die einander etwas zu sagen hätten, entfernt von einander leben und sich nur auf so kurze Zeit sehen. Haben Sie wohl wieder an unsere Rotunde im Titurel gedacht? Freilich müßte man auf eine Zeit lang beisammen seyn, um das auszuführen. Ich könnte allerdings die Handschriften von Heidelberg kommen lassen, und die ganze Beschreibung im voraus philologisch bearbeiten; aber wie soll ich jetzt dazu kommen? ‒ Haben Sie das letzte vortreffliche Heft der Pachydermen von dʼAlton gelesen? Mich dünkt, das verdient eine Anzeige im Kunstblatt, denn der Gedanke, das Knochengerüste der organischen Gebilde in den äußern Umriß hinein zu zeichnen, ist auch für die bildende Kunst sehr fruchtbar.
Leben Sie tausendmal wohl und lassen Sie mich bald wieder etwas von sich hören.
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