Mein lieber Wilhelm, ich komme so eben von einer Kindtaufe, wo ich Gevatter gestanden habe. Mein Pathe ist der kleine Citoyen, Wilhelm Julius Cranz.
Vorgestern Abend fand ich sie sehr schlecht, und in der gewißen Meynung, daß es noch zu zeitig sey. Gestern Morgen schien selbst der Artzt etwas besorgt, und sie selbst ihres Todes so gewiß, daß sie unter schon sehr ernstlichen Schmerzen ihre Papiere mit mir in Ordnung brachte. Ich sagte ihr, daß ich Dein Bild unten hätte, und mußte nun das Zimmer verlaßen. Ihre Schmerzen waren ganz ungewöhnlich und unerträglich heftig; ich hörte ihr Geschrey unten auf dem Hofe, ja im Vorderhause, und es durchdrang mir Mark und Bein. Sie verlangte auch einmal Dein Bild, in dem Augenblicke der heftigsten Angst. – Lange dauerten ihre Leiden aber nicht, und endigten sich mit der glücklichsten Entbindung für Mutter und Kind. Eine entzückende Freude, und sie hatte auch Kräfte genung, sie zu genießen. Nun konnte ich ihr Dein Bild bringen, und gewiß [2] konnte es in keinem schönern Augenblick kommen. Der größte Fehler, den sie daran fand war, daß es ihr die Hand nicht geben könnte. – Mein Lieber, schreiben kann sie Dir nicht; aber sie grüßt Dich, und will gern wißen, was Du gestern gemacht hast, und wo Du gewesen bist ‚vermuthlich bey Sophienʻ. Nehmlich gestern früh bis gegen eilf Uhr. Ich soll Dir auch melden, daß er ihr ganz gleicht, und daß er ganz deutsch aussieht. Warum? Damit Du nicht so einen entsezlichen Haß darauf wirfst. – Ich habe iezt erfahren, welch ein Unterschied unter so etwas ist, und unter was anders. Wäre sie die Meinige, ich wäre von Sinnen gekommen. Ich bin ihr sehr gut, aber in der Angst dachte ich doch nur an Dich. Es war schon festgesetzt, Du solltest nach Deutschland zurückkehren. Denn ich habe immer geglaubt, du lebtest dort im Nebel eigentlich nur mit Carolinens Schatten. –
In dem Bilde ist viel große Kunst, aber wenig von Deiner Seele. Für [3] durchaus schön halte ich Stirn, Augenbrauen, Nase und Nebenwerke, als Haare. Die Farbengebung verräth ganz den Meister, doch bekenne ich, daß der grünlich-graue blasse Ton <mir> nicht so lieb ist, als der lichte der Graffʼschen Bilder. Aber Wangen und ein Zug am Munde ist ganz verfehlt; und es scheint ihm mislungen eine seltsame, hohe, Bedeutung in die Augen zu legen. Er wollte vielleicht die feuchte Glut, die Deine Augen bey einer freudigen Geberde so lieblich machen kann, darstellen. Aber das scheint mir mislungen, so wie eigentlich die Seele des Werks, die Bedeutung des Ganzen, die weder Dein, noch natürlich, noch deutlich ist. – Im Ganzen ist Carolinens Urtheil glaube ich, meinem ähnlich; doch wird es wohl nicht ganz so strenge seyn. Sie wird Dir gewiß selbst davon schreiben.
Gestern befand sie sich ziemlich wohl, die Nacht aber schlief sie nicht, und empfand heute Morgen die Nervenunruhe, die ihr dann gewöhnlich ist, doch nicht in sehr heftigem Grade. Es ist aber darin gar nichts, [4] was uns besorgt machen könnte. – Im Hause selbst ist ein zwar junger, aber allem Anschein nach sehr geschickter Artzt, mit dem sie sehr zufrieden, und reicht das nicht hin, so kann sie von hier Hülfe haben. Es versteht sich, daß Du nächsten Posttag wieder Nachricht erhältst; morgen gehe ich wieder hinaus und muß daher diesen Brief etwas im Voraus schreiben. –
Da nun alles beygelegt, so kann ich Dir auch wohl entdecken, daß sie vorige Woche noch einen Verdruß hatte; Der Pfarrer machte Schwierigkeit wegen der Taufe, und ein Rath Hegner aus Altenburg, wo das Amt ist wollte Untersuchung anstellen, wer sie sey, sprach von großer Caution pp. Ja daß die Menschen nicht kamen, sie zu verhören, wurde nur durch den Eifer der Hausleute verhindert. G[öschen] hat an den President Thümmel, den Bruder des Dichters in Alt.[enburg] geschrieben, und dieser hat sehr bereitwillig die Sache dahin beygelegt, daß weiter gar keine Nachfrage geschehn soll. Der Pfarrer, dem gestern ein Louisdʼor <geschickt war,> taufte so höflich, wie ein Geistlicher es in solchem Falle zu thun pflegt. Denn eigentlich war Alles eine Geldschinderey unter der Maske der Polizey.
[5] Heute, da ich mit Göschen rede, sagt er mir; ich weiß nun auch, daß ihr Bruder nicht der Vater des Kindes ist. Nachher kam es denn so heraus, daß jemand, den er durchaus nicht nennen wollte, (von dem ich aber nun mit ziemlicher Sicherheit behaupten kann, daß es Körner ist) ihm die Nachricht gegeben hatte, Du liebtest B. [Caroline Böhmer] aber ohne Erwiedrung; dieß zu manchen andern Umständen (vielleicht auch Meyers Reden, ehe er sie sah, und ihren Willen darüber wußte) zu meinem zweydeutigen, immer nicht offnen Aeußerungen, zu ihrem gänzlichen Stillschweigen, haben ihn ganz natürlich darauf geleitet, und dann der wichtigste Umstand, daß Du vorigen Winter zu Amsterdam gewesen, auf welchen Einwurf ich so unbefriedigend antwortete. Das mußte ihm auch wohl die Augen öffnen, aber doch ist es dumm von mir, so gleich eingestanden zu haben, und niedrig von ihm mich so zu übertölpeln; jedoch weiß er weiter nichts, und wenn er weiter grübelt, so wird er wohl auf F[orste]r rathen. Da sein Diensteifer gleich bleibt, so kann uns gleich seyn, was er denkt. Was seine Gedanken vor Zeug sind, das kannst Du wohl denken; er sprach von Deinem [6] Edelmuthe, es entfiel ihm auch einmal das Wort ‚getäuschtʻ. Da sagte ich denn ganz offen. ‚Nein, getäuscht hat sie ihn nicht, sie hat immer sehr gut gegen ihn gehandelt.ʻ Das wird er freilich nie verstehen, und wenn er seinen Buchhandel auch bis zum großen Weltgerichte führte. – Seine Frau weiß aber nichts und frägt nach nichts, sondern hilft und freut sich. O! was ist doch die Unwissenheit für ein heilig Ding. – Uebrigens habe ich mich hinterdrein garstig erboßt, daß ich so ein Esel bin. – Uebrigens wiederhohle ich aber nochmals, daß sein Diensteifer völlig derselbe bleibt. – Er wird ihr auch Geld vorschießen; sie war genöthigt ihn darum zu bitten, weil ihr Geld von Hause nicht gekommen, und sie auch <vielleicht> auf die sechs Louisdʼors von Dir gerechnet. Ich kann ihr nur sechzehn Laubthaler, und nur auf kurze Zeit vorschießen; und das wußte ich diesen Morgen noch nicht einmal. –
Wenn ich Dir sage, daß Dein Bild neulich einige Stunden auf der Post gewesen ist, daß ich zuvor etwas versetzen, und noch etwas borgen mußte, damit ich es abhohlen laßen konnte, welches die strengste Wahr[7]heit ist, so wirst Du mir gewiß nicht verübeln, daß ich das leztemal so dringend geschrieben. Ich habe heute vierzig Thaler geliehen bekommen, so ich gar nicht hoffen durfte, und bin also, eine Post die ich binnen hier und vierzehn Tagen bezahlen muß <abgerechnet>, für die täglichen Bedürfniße auf etwa vierzehn Tage gedeckt. Doch muß ich Dich bitten mir gegen diese Zeit wenigstens das zu schicken, was ich für Dich ausgelegt, nach Abzug von dem Preise des Hemsterhuys. –
Den Gedanken, meinetwegen an M[astiau]x zu schreiben, hat Dir ein guter Geist eingegeben. Ich kann dadurch nie in ein Verhältniß mit ihm kommen, so mir wiedrig wäre; wenn ich voraussetzen kann, daß das bey Dir auch der Fall ist, so nehme ich es an, als die größte Freundschaft, die Du mir erzeigen kannst. Es muß etwas Großes geschehen, mit einer kleinen Hülfe beschwere ich Dich, und rette mich nicht, und iezt kannst Du ja auch durchaus nicht. Meine Schulden an Juden sind dreyhundert und zwanzig Thaler, und sonst vierhundert bis vierhundert und funfzig Thaler. Verdienen hoffe ich <diesen Winter> so viel zu können, daß ich mich durchaus ganz erhalte, und da es der Anfang ist, ich mit Buchhändlern und Gelehrten eigentlich noch wenige [8] Verbindungen <habe, und mich hier in manchen Stücken durchaus nicht einschränken kann,> so siehst Du wohl, daß schon dazu alle meine Thätigkeit und Anstrengung erfordert wird. Erhalte ich aber sonst keine Hülfe, so sind meine Schulden doch zu Ostern gewiß gewachsen, weil ich um hier oder dort zu bezahlen, so nachtheilig würde borgen müssen, wie es in meiner Lage gewöhnlich ist. Es könnte mir dann nur durch ein verzweifeltes Mittel, nehmlich durch große Juden-Anleihen gelingen, L.[eipzig] zu verlaßen, und ich müßte mich glücklich schätzen, wenn meine Schuld zu Ostern dann nur 1 200 Th. betrüge. Solche Schulden multipliciren sich selbst. – Du siehst daß ich wohl Rechtfertigung <habe für den Schritt> mich an einen Freund zu wenden. Könntest Du mir von M[astiau]x eine Summe verschaffen, so wäre es herrlich. Soll ich aber von der Nothwendigkeit befreyt werden, neue Schulden zu machen, so muß ich drey bis vier hundert Thaler haben. Ich stelle es Dir zur Ueberlegung anheim. Glaubst Du es thun zu können, so ist es ein großer Gewinn, wenn es bald geschieht. Denn bekomme ich vor Neujahr kein Geld, so muß ich höchst wahrscheinlich wieder viel borgen. Ich stelle Dir frey, ob Du auf eignen Antrieb schreiben willst, oder so als wiße ich darum. Das erste [9] scheint mir das Bessere. Du mußt aber ein Gemählde der Lage, die mich in dieses Labyrinth gestürtzt, treu und wahr entwerfen, und kannst von Allem ohne Ausnahme, was ich Dir schrieb, Gebrauch machen. – Geht er es ein, so hoffe ich noch mehr, daß dieß ein Anlaß seyn kann, uns in Briefwechsel zu bringen. Und Du könntest ihm dann vorläufig eine Correspondenz über politische Philosophie antragen, wenn er es mit Sicherheit einzurichten weiß; denn was ich darüber schreiben kann, möchte so wenig für die Herren vom Departement des Brieferbrechens taugen, wie das Seinige.
Mein Plan für Dreßden ist sehr einfach; ich werde leben von so wenigem, als nur möglich, beynahe von nichts: ich werde meine ganze Zeit zur Ausarbeitung einiger Werke anwenden, zu denen ich auch die dortige Bibliothek brauche: ich werde keine Hofmeisterstelle annehmen, als in ganz außerordentlichem Falle, und für das Weitere erst dann einen Entschluß faßen. Das lezte ist, <denke ich,> sehr weise, ich darf es aber nur Dir sagen, und muß zum Schein auch sehr ernstlich eine Hofmeisterstelle suchen. Vielleicht kann ich Dir schon diesen Winter [10] beweisen, was ich hoffen darf in einem Jahre, ganz frey, thun zu können. Entspricht es Deinen Erwartungen nicht ganz, so vergiß ja nicht meine hiesige Lage. Doch ich bin gewiß, daß Du künftighin Thätigkeit und Muth nie an mir vermißen sollst.
Du siehst daraus, daß in einem Jahre an Bezahlen noch eben nicht zu denken ist, und verlangt M.[astiaux] einen bestimmten Termin, so setze ihn so weit hinaus wie möglich. –
Daß Du in unsrer Familie so viel Kummer siehst, das kömmt auch vom üblen Herbstwetter und hypochondrischer Stimmung. Ich wüßte nicht, wo das läge. –
Ich muß nun fort. Verzeihe, daß ich nicht mehr schreibe. Alles übrige den Sonnabend. Eben habe ich mit G.[öschen] noch einmal geredet; er versichert auf Ehre, daß ein Andrer, nicht Körner, ihm die Nachricht gegeben. Meyers Betragen habe ihm am meisten Verdacht, oder vielmehr Gewißheit gegeben. Er sprach noch viel von Deiner Größe, nahm manches, was er über B. [Caroline Böhmer] gesagt hatte, zurück. – Ueber Deine Gedanken von System das nächstemal; wenn unsre Streitigkeit nur nicht in Gefahr kömmt, unfrucht[11]bar zu werden. Lieber gieb mir die versprochnen Gedanken über Dichter, Seher und Denker; oder beantworte auch einiges in dem langen Briefe der mit Bemerkungen über Kants Cr.[itik] d.[er] U.[rteilskraft] anfängt. Mir däucht ich berührte da Einiges, so das Wesentliche von aller Kunsttheorie ist. Mein Vorwurf über Deinen Vernunfthaß war nicht übel gemeynt, und halb Scherz. Den Mißverstand mit dem Worte Ideal und Idee warf ich nicht Dir vor, sondern mir eben so gut, am Meisten der Sprache, die von allen solchen fremden Wörtern gereinigt werden muß. – Dein Brief hat mich sehr beschäftigt, und mir viel Freude gemacht. Die Antwort den Sonnabend.
Wenn das schlechte, heillose Land nicht blos Deine Seele verzehrt, sondern auch die heilige Zeugungskraft, so fliehe doch zu uns, in Dein Vaterland zurück. Im Ernst, Du solltest mit mir Deine Rückkehr überlegen; ein Brief kann mich in Stand setzen, zu beurtheilen, wie viel Sophie hiebey in Betracht kommt: B. [Caroline Böhmer] ist da Parthey, aber Du auch. –
Den fünften.
F. S.
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