Ich schreibe Ihnen mein verehrter Bruder, grade zu nach Coppet, ich denke wenn Sie selber auch nicht dort sind, so wird man doch dort zuerst wissen wohin man Ihnen die Briefe nachzusenden hat. Sie haben mir vergessen in Ihrem Brief aus Frankfurt anzugeben, wohin Sie reisen, wohin ich Ihnen schreiben kann, und schreiben muß ich Ihnen, Ihr Brief drängt mich vollends von allen Seiten dazu. – O mein Bruder warum haben Sie mich nicht besucht? ich habe Ihnen nach Hannover geschrieben, und Sie gebeten über Kölln zu reisen, und mich bis Frankfurt mitzunehmen; mein Brief war vom 21ten, und ist wohl gar nicht in Ihre Hände gekommen, ich hatte ihn an die Mutter adressirt. Wären Sie doch gekommen! mußten Sie über Friedrich zu klagen haben, und waren mir so nah, und es wäre mir dann vielleicht gelungen Sie über alles zu beruhigen! Aber was vermag ein Brief? und vollends einer von mir, die ich so wortarm bin; aber wären Sie selber bei mir gewesen, Sie hätten mir alles abgefragt, und wären gewiß jetzt zufrieden mit uns! – Daß Friedrich nicht gleich zu Ihnen nach Wien ging, geschah einzig und allein, weil er, (gemäß Ihrer Versicherung,) überzeugt war, Sie würden schon am 8ten Mai von dort abreisen, und nicht wie es wirklich geschah erst am 22ten. Zu Frankfurt und zu Leipzig musste er sich nothgedrungen wegen einiger Geschäfte aufhalten; und übrigens wollte er auch in Dresden noch einmal genau mit Ihnen von allen Seiten überlegen, ob es auch gerathen sey grade jetzt nach Wien zu gehen? Die Kriegsgerüchte machten ihm bang; es dünkte ihm vielleicht nicht recht, wenn dieser zum Ausbruch käme, eine solche Entfernung zwischen ihn und mir zu setzen; ob ich nach Dresden würde kommen können, war ja bei den so beschränkten Mitteln nichts weniger als gewiß, auch scheute ich, (ich gestehe es Ihnen) mich in so trüber schwerer Zeit Ihrer Schwester aufzulegen – können Sie guter Bruder es unserm Freunde nicht verzeihen wenn er, so oft von jedem fast schon erreichten Ziel zurückgeschlagen endlich zaghafter wird, und auch den glänzendsten Hoffnungen sich ganz hinzugeben, fast die Freiheit verlor? Alle seine Briefe an mich, seit er Sie sah, sind voll Beweise der tiefsten Schwermuth, und eines wahrhaften Schmerzes; jetzt [2] erst glaube ich den Grund davon zu erkennen, bis jetzt war diese unüberwindliche Schwermuth mir ein Räthsel; er hatt mir nemlich gar nichts davon geschrieben daß Sie mit ihm unzufrieden sind. Jetzt sehe ich was den Armen drückt; O vielleicht hat es nur an einigen ruhigen ungestörten Stunden mit Ihnen gefehlt und Sie hätten es dann gesehen, daß nicht Trägheit, noch weniger Mangel an Zutrauen gegen den wahrhaft geliebten Bruder, ihn zu seinem Nachtheil erscheinen ließ, sondern ein gefühlvolles Herz voll der bittersten Schmerzen! – Ihn hatt das unberufene Zeitungsgeschwätz sehr beleidigt, denn es kam zum Theil durch die Geschwätzigkeit und Sorglosigkeit einiger Personen her, denen er sich anvertraut hatte. Er ist etwas übermäßig in Allem, Sie kennen das an ihm; so auch hat er sich dies mehr zu Herzen genommen als es eigentlich verdiente; er sah allenthalben Feinde und Verfolger jetzt, und glaubte beständig auf seiner Hut seyn zu müßen, und immer Angriffen blos gestellt; meynte jeden Augenblick sich vertheidigen zu müßen; und das ist grade etwas was er nie gern gethan, wozu er auch eigentlich keine rechte Haltung hat, er fühlt das, und dies giebt ihm eine Reizbarkeit und Empfindlichkeit, wo er immer leicht etwas zu viel oder zu wenig thut; in dieser Crisis fanden Sie ihn grade! in einen solchen Moment muß er geschont werden, wie ein überreizter Kranker den man auf jede Weise zu beruhigen suchen muß. Seyn Sie nicht verdrießlich liebster Freund; sagen Sie nicht, „ja so ist er, aber warum ist er nicht anders?“ Lieber Wilhelm lieben Sie Ihren Bruder so wie er ist! wäre auch manches anders in ihn als Sie es wünschen, oder als Sie sich, entfernt von ihm es sich vorstellen, niemals finden Sie aber irgend ein menschliches Wesen welches mehr verdiente von Ihnen geliebt zu werden, als er; denn in allem was ihm abwechselnd erfreut, und betrübt, bleibt die Liebe zu seinen herrlichen Bruder immer der Nerv seines Lebens; und in keinem Moment seines Lebens vergißt er es, daß er eigentlich zu Ihnen, und Sie zu ihm gehören. –
Eine kleinliche Furcht vor der Meynung, war es ganz gewiß nicht die ihn zu dem mißverständlichen Brief bewog, den er wie Sie sagen dem Bruder Karl geschrieben hat; eine solche Furcht dürfen wir nicht bei ihm voraussetzen ohne ungerecht zu seyn, gegen ihn sowohl, als gegen uns selber, denn ist es nicht eine Ungerechtigkeit gegen uns wenn wir das was wir ehren und lieben herunter setzen? Wie lange schon quälte es ihm daß er so gar [3] nichts zur Erleichterung und Unterstützung der guten Mutter beitragen kann! Daß Sie so kindlich diese Pflicht erfüllten, konnt ihn zwar von der einen Seite beruhigen, jedoch wuchs sein Unmuth, selber so gar nichts beitragen zu können bis zur Bitterkeit; es beleidigte sein Gefühl, und – seinen Ehrgeitz! Und nun auf einmal dieser entsetzliche Vorfall, bei dem er voraussetzen musste, daß er die Mutter aufs empfindlichste kränken würde, denken Sie sich doch wie ihn das bestürmen musste. Es kann leicht seyn, daß er einen Augenblick die Fassung verlor, und grade in diesen Augenblick einen Brief schreiben konnte, der entweder zu viel oder zu wenig sagte, und deswegen unnatürlich gefunden, und mißverstanden werden musste! Aber gewiß, geläugnet kann Friedrich nicht haben; behüte Gott, das kann er nicht! Auch ich war sehr erschüttert, ehe ich wußte welchen Einfluß es auf meine Kinder haben würde, aber nun ich hierüber beruhigt seyn kann (sie sind beide mit ganzer Seele unser) bin ich auf alles gefasst; und so wird es auch Friedrich seyn wenn ihm einst die Nachricht würde, daß die Mutter es ruhiger aufgenommen, als er zu befürchten Ursach hat. Daß ich in jenem Moment nicht bei Friedrich seyn konnte war sehr grausam; er war gewiß recht unglücklich, glauben Sie mir das, und Sie zürnen nicht länger auf ihn. In Paris war er zwar schon halb der Ueberzeugung des katholischen Glaubens aber bis zur wirklichen Annahme, bis zum unausweichlichen Bedürfniß des wirklichen Anschließens kam es erst seit zwei Jahren ungefähr; daß ich in Paris getauft und ihm angetraut wurde, war damals ein Bedürfniß und in unsrer damaligen Lage recht; nach Kölln zu gehen, oder wirklich zur katholischen Kirche uns zu bekennen, davon war damals noch gar nicht die Rede, alles dies geschah später; ich habe auch übrigens kein protestantisches Bekenntniß abgelegt, ich weiß nicht einmal ob es eins giebt; der gute Gambs machte nicht viel Umstände mit meinem Unterricht, und meine Taufe ist auch bei den katholischen vollkommen gültig, und es bedurfte gar keines neuen Schritts bei mir. Am 16ten April legten wir unser Bekenntniß in Gegenwart zweier Zeugen ab, und unsre Meinung war, es durchaus geheim zu halten, bis Friedrich eine Versorgung haben würde, damit man ihm keiner zweideutigen Motive [4] beschuldigen könnte; aber unsre Vorsicht war vergeblich; wir sollten hart geprüft werden! eigentlich zur Kirche halten wir uns schon seit zwei Jahren, und dies ist nicht einmal jemand aufgefallen; daß wir den förmlichen Schritt aber erst jetzt thun konnten, das lag an die Zögerung des Geistlichen, der allerlei Bedenken fand wegen meiner frühern Ehe; es dauerte anderthalb Jahre eh diese Hindernisse gehoben waren, und nun es so weit war wollten wir auch nicht länger zögern, da man uns das tiefste Geheimniß angelobte. Wir hatten es nicht geglaubt daß jene Schwierigkeiten früher gehoben seyn würden, als Friedrich eine Versorgung hätte! Friedrich schrieb schon im vorigen Winter an Karl daß er das Canonicat zu verkaufen suchen solle; hätte dies vor der Bekanntwerdung Statt finden können so wäre es zum Theil doch gerettet! – Doch dies ist nicht so gar wichtig, wir hätten doch nur die Hälfte davon bekommen, da wir nicht im Lande sind, und das erst 1810! wer weis was sich in 2 Jahren zuträgt. Behalten es die Franzosen, so wird der Glauben vielleicht nicht einmal mehr ein Hinderniß seyn! – Hätten Sie mir doch ein Wort darüber geschrieben ob die Mutter sich beruhigt! – Daß Carl der Vte noch nicht weiter vorgerückt ist, das ist freilich ein Vorwurf der Friedrich härter trifft; aber auch hier kann ich bezeugen, daß er, seit das indische Werk vollendet ist, unausgesetzt daran gearbeitet hat. Aber Sie kennen ja seine Art, wie lang er beständig erst eine Sache mit sich herumtragen muß, und vollends hier wo es auf historische Genauigkeit so sehr mit ankommt, bei einem so reichen, tiefen Gegenstand, den er nach seiner Art nicht anders als erschöpfend zu behandeln weiß. Er könnte allerdings etwas leichter damit zu Werke gehen, das liegt aber nun einmal nicht in seiner Natur, und wir dürfen es nicht von ihm fordern wenn wir ihn nicht ganz zerreißen wollen. Die Recensionen die er während der Zeit in den Heidelberger Jahrbüchern geliefert hat, werden Sie doch hoffentlich einigermaßen mit jener Zögerung etwas aussöhnen; sie sind denn doch auch ganz vortreflich, und so an der Zeit als immer möglich. – Aber was soll ich sagen? ich [5] bin im tiefsten Herzen bekümmert und traurig über Ihr Mißvergnügen; das ist alles! – Freilich, rasche Benutzung des Augenblicks, schnelle Entschließung, und was sonst dazu gehört in der Welt Glück zu machen, das fehlt ihm ja, und hier ist es ja eben lieber Wilhelm wo Sie für ihn eintreten sollen. Ich habe doch aber die Hoffnung daß es ihn in Wien noch gelingen wird, zwar schnell nicht; nicht so schnell als Ihnen, aber er muß doch endlich durchdringen – freilich kann auch hier der Krieg ihn wieder zurück aufs hohe Meer jagen – Wilhelm, werden Sie ihm Ihre Hülfe dann entziehn? – – –
Für Ihre Liebe und Sorge um mich kann ich mit Worten nicht danken, könnte ich mein übriges Leben hindurch mich darum verdient machen, so würde ich es für den höchsten Gewinn achten. Loben Sie mich aber nicht so sehr für meine Liebe und feste Anhänglichkeit an Ihren Bruder; es ist ja mein höchstes Glück, was hätte ich wohl sonst für ein Leben geführt wenn er mich nicht durch seine zärtliche Liebe (denn auf eine andre Art war ich nicht zu retten) vom Abgrund des Verderbens zurückgerissen hätte? wenn ich wirklich etwas werth bin, so bin ich es nur durch ihn. Er hat mich der gewissen Hoffnung eines bessern Lebens zugeführt, was könnte ich wohl besitzen das nicht sein wäre? Meine ewige Dankbarkeit bleibt Ihnen daß Sie Gutes von mir Ihrer Mutter gesagt haben, es wird ihr eine größere Beruhigung für ihren Sohn geben, daß sie von der Treue seiner Gefährtin überzeugt seyn darf; und was mich betrifft, wenn ich auch über das Urtheil der Welt mich zu kühn hinwegsetzen konnte, die gute Meinung der Mutter und Geschwister meines wahrhaft verehrten Mannes, bleiben mir das höchste Ziel meines Ehrgeitzes; ich würde sie um nichts in der Welt verlieren wollen; den herzlichsten Dank also Ihnen, daß Sie diese gute Meinung durch Ihr Zeugniß haben befestigen wollen. – Es wird mir schwer auch noch zu meiner Reise, Geld von Ihnen nehmen zu müßen, und besonders von Ernsts, die in dieser Zeit gewiß alle ihre Kräfte zusammen nehmen müßen, und wie kann ich es übers Herz bringen mich ihnen dort so ganz auf den Hals zu legen? Es wird mir sehr schwer – aber es muß seyn; eine so entsetzliche Entfernung von allen den Meinigen wäre unverantwortlich, und auch unanständig; giebt der gute Gott mir nur Kraft genug, so – vielleicht gelingt es mir noch, meine große Schuld, wenigstens zum Theil zu tilgen. Mit den 200 rth würde es wohl schwerlich genug seyn; wir haben hier noch an 30 Carolin Rückstand, von Alters her; im vorigen Jahr wurden keine neue Schulden gemacht. Ich schreibe heute an Willmann[s] [6] daß er mir dort eine Gelegenheit, wenigstens bis Leipzig schaffen soll; aber ich zweifle beinah ob ich außer der Messzeit eine solche finden werde? In diesem Fall wird es nicht gut gehen. Ich werde hier die stärkste unsrer Schuld[en], welche 380 francs beträgt, durch einen Wechsel, auf ein Jahr zu beruhigen suchen, und wenn das geht, und ich bekomme in Frankfurt Gelegenheit, dann geht es doch an. Gelingt aber beides nicht, dann wird es wohl schwerlich gehen. Sehr gut wäre es wenigstens wenn diese 200 rth nicht lange mehr ausblieben damit ich nicht hier noch mehr verzehre als ich habe, bis Hälfte Juli reicht mein Vorrath noch hin. Gern hätte ich mich freilich zur Reise und zu meinem Aufenthalt bei den Ihrigen, besser gekleidet, doch dies sind Nebendinge, die auch recht gut wegfallen können! Vielleicht bekomme ich auch noch einen kleinen Vorschuß von den Verlegern der Heidelberger Jahrbücher; doch das ist nicht gewiß, und auch immer mißlich. Doch seyn Sie meintwegen nicht in Sorgen, ich will mir auf jeden Fall zu helfen suchen, nur muß die Hauptsumme nicht gar lange mehr ausbleiben, so daß ich in der Hälfte des künftigen Monats fort komme. –
Meine Schwester Henriette ist mit einer Familie von Tönniges auf Reisen, und wird den Sommer in der Schweiz zubringen. Sie hat mir tausend freundliche Grüße für Sie aufgetragen, und Sie bitten lassen, sie doch ja zu besuchen wenn Sie etwa nach Berne kommen, bei Haller et Comp. zu Bern erfahren Sie ihre Wohnung, auch können Sie dort einen Brief an sie addressiren, wenn Sie ihr etwa schreiben wollen. Sie schrieb mir mit rechter Herzensangst, daß sie nun vielleicht Sie nicht einmal sehen würde; denn käme sie auch wirklich nach Genf, so würde sie nie den Muth haben, Sie in Coppet aufzusuchen. –
Ich habe mich nun anders besonnen und schicke meinen Brief lieber nach Dresden, Ihre Schwester weiß vielleicht Ihre Adresse; vielleicht sind Sie noch in Weimar.
Lieber, herzlich geliebter Bruder leben Sie wohl, es kömmt kein Morgen und kein Abend, wo ich nicht Gott um seinen reichsten Seegen für Sie anflehe. Noch einmal, lieben Sie Ihren Bruder, nicht wie er seyn sollte, sondern wie er ist –.
Ihre
Dorothea