• Elisabeth Wilhelmine van Nuys to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Hamburg · Place of Destination: Chaumont-sur-Loire · Date: 16.07.1810
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Elisabeth Wilhelmine van Nuys
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Hamburg
  • Place of Destination: Chaumont-sur-Loire
  • Date: 16.07.1810
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 149‒151.
  • Incipit: „[1] H[am]b[ur]g July 16–[18]10
    Nie sah ich mit größerer Sehnsucht einer Nachricht entgegen als seit dem mir die köstliche Hofnung des Wiedersehens [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: APP2712-Bd-7
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,22,18
  • Number of Pages: 8 S. auf Doppelbl. u. 1 S., hs. m. Paraphe u. Adresse
  • Format: 18,7 x 11,3 cm; 22,7 x 18,9 cm
    Language
  • German
[1] H[am]b[ur]g July 16–[18]10
Nie sah ich mit größerer Sehnsucht einer Nachricht entgegen als seit dem mir die köstliche Hofnung des Wiedersehens ward. Warum l[ieber] S[chlegel] kein bestimtes Wörtchen, keine Zeile zur Erwiederung der mir so wichtigen Fragen weil von ihnen die Maasregeln für den Sommer abhängen sollten. – Jetzt – gehʼ ich in wenig Tagen zu meiner Tochter welche in B[remen] ihre Niederkunft abwartet – es sind nur 12 Meilen von hier und ich kann hier [2] wieder erscheinen sobald solche Stimme als die des gel[iebte]sten edelsten Freundes mich lockt. Bleibt dieses Wiedersehn noch verschoben bedarf ich dann nicht doppelt des tröstenden Wörtchens was die liebsten Hofnungen belebt? How is it possible so zu zögern?
und die Büste – die gel[iebte] Büste? – o ich bin eine böse Schuldnerin. Dem Fischer in W[ien] bin ich nach grade recht unhold – begeht er nicht einen Raub an D[einer] M[inna] durch die Zögerung? [3] Seit einiger Zeit habʼ ich von allen Seiten zu ihm geschickt und die Hofnung des Besitzes jenes geliebten Bildes wie des Erfolgs ist nun der Erfüllung bestimt nahe. Von Friedrich soll vor kurzem Nachricht an Perthes gekommen seyn – dieser wird ein Vaterländisches Museum herausgeben, ich höre er hat die „herrlichen Brüder“ zur Theilnahme aufgefordert – wird den[n] der g[eliebte] A[ugust] W[ilhelm] nicht auch dadurch meine Freuden insbesondere mehren wollen? und von seinen Arbeiten hieher schicken? Elise frägt mich immer, weshalb läst der herrliche Schl[egel] [4] den Shakespear liegen? Ach wir jammern desfalls zu viel, und könnten Seufzer die Fortsetzung bewirken – ich könnte ein Jahr meines Lebens dadurch opfern. Vor einiger Zeit war mirs als hättʼ ich die Kraft, Dir vorzuarbeiten – solche Ueberraschung dacht ich mir süß – aber entschieden würde die Feile so viele Mühe wie die ganze Arbeit machen – und dann wäre es ja verlorene Zeit! Wird aus der großen Reise nach Am[erika] nichts dann müssen wir auf jeden Fall im nächsten Jahre uns sehen – dieses möglich zu machen, gelingt mir gewiß, wenn der Wunsch des Freundes dem meinigen ganz begegnet.
Das Schicksahl der liebenswürdigen Fürstin Schwarzenb[erg] hat gewiß auch m[eines] Freundes innige Theilnahme geweckt; ist dieses dieselbe [die] mit der Fr.[au] v. S.[taël] correspondirte?
Ist B[aron] V[og]ht noch immer in Genf? Ich war kürzlich und mehr als einmal in dem reizenden Flottbek aber es kam mir verödet vor weil ich den geistvollen Besitzer oder vielmehr Eigenthümer vermiste. [5] Es ist ein köstlicher Aufenthalt – dort mit D[ir] – die Nachtigall belauschen – der stolzen Elbe mich erfreuen – im Schatten der hohen majestätischen Eichen weilen – o daß wäre schwelgen im wahren Sinne des Worts. Ich gebe keinesweges die Behauptung zu, daß nur im Süden lebendig die Fähigkeit sey, des Lebens sich zu freuen, wohl mögtʼ ich behaupten es mehre sich hier die Kraft „zu entbehren“ – und geht nicht aus dieser einzig jene hervor? – Wir haben in diesem Sommer (zwar wenig) aber so göttlich warme Tage gehabt, daß grade in jener reizenden Gegend, wo ich diese genoß [6] mir es war als fehlten nur die Flügel meinem Wesen, daß nie körperlich wohler war. – Wäre ein solches Flügelpaar erschienen – wen ich da belauscht – und dann erst überrascht hätte – ach daß ist zu nennen hier unnöthig.
Im Frühling hat die Händel jetzt Schütze uns manchen Genuß bereitet. Auf der Bühne gefiel sie zwar nur wenigen, aber in den mimischen Darstellungen um so mehr; doch gab sie deren nur eine weil ihr zu wenig Zuspruch und nicht die predendirte Huldigung ward. Der Mann mit dem sie jetzt (in der 4t oder 5t Ehe [7] verbunden) ist der Professor Sch[ütz] Sohn des Hofraths aus Halle; ein junger schöner Mann den M[adame] H[endel] durch Eifersucht tirannisiren soll – sie sind von hier nach Hollstein gegangen.
Tischbein wird sie vermuthlich zeichnen, er war kürzlich hier, und behauptete sie hätte ihr ganzes Leben damit verwandt, nach seinen Zeichnungen sich zu drapiren. Dieß hatte sie ihm nehmlich gesagt! – Sein refrain war aber nach jedem Worte „Ach wenn sie nur einen Hals hätte – Ihre Stellungen sind schön, aber, aber, kein Hals“ – dieß wurde immer wiederholt.
[8] Ist die Freude D[ich] zu lesen mir bald bestimt dann bittʼ ich es nach Bremen zu adressiren Mad. Schleiden née de Nuys – sonst direct hieher Königsstraße man ist so discret keine meiner Br[iefe] zu entsiegeln.
Ein ausgezeichnet sicherer Weg hieher ist indessen das Couvert von Frl. v. Knobel aus Oldenburg; eine Freundin welche bei mir lebt; sie bleibt während meiner Abwesenheit bey B[ertheau]. H[arriott] ist schon jetzt in B[remen] wo ihr Vater ist, und sie sehen wollte; er ließ sie holen und sein Dortseyn verzögerte meine Abreise. Hat Albertine mir den Verrath ihrer kleinen Unbesonnenheit vergeben? – er war mir nachher leid; weil ich grade um ihre ausgezeichnete Lebhaftigkeit so sehr sie liebte. Wo ist der schöne Albert? Der ganzen seltenen Familie wünscht herzlich empfolen zu sein die unwandelbare Freundinn ihres Freundes.
[9] Frl. K[nobel] ist recht sehr musicalisch – wir treiben viel music – ihre erste lecture in meinem Hause waren die treflichen Vorlesungen des gel[iebten] Sch[legel] – sie ist ganz entzückt davon wie ich; überhaupt ist hier nur eine Stimme über dieses tief durchdachte Meisterwerk.
G[oethes] Wahlverwandt[schaften] verbieten die denkenden Mütter ihren Töchtern durchaus – man lobt dagegen die „Farben“ ein Werk was ich noch nicht kenne. – Aus Berlin schreibt man mir er ziehe vieles von dort nach dem Carlsbad. – Auf dem nächsten Sommer will meine Freundinn Matt mir durchaus rendésvous im Carlsbad geben was sie fast jährlich besucht; sie bleibt fern wie nahe dieselbe Freundinn und ist im ganzen Sinne des Worts ein trefliches Weib. Im Februar Heft von Zachs Monathlicher Correspondenz stehen von ihrer Berechnung auf jener Reise. Ihre jüngste Tochter die schöne Minna deren Bild als Psyche gemahlt sie uns zeigte wird wahrscheinlich bald ihre Verbindung mit einem Grafen Finkenstein feyern naher Verwandter des Grafen der mit der ältesten verbunden ist.
Meine H[arriott] entwickelt sich sehr zu meiner Freude. Von ganzem Herzen immer, immer und immer dieselbe
M[inna]

Sie wissen doch daß Troxler mit einer schönen jungen Wienerin verheirathet in der Schweiz seinem Vaterlande lebt? Er ist ein guter Gesellschafter und schäzbar als Mensch, ich glaube Best hat der Zeit in W[ien] Misverständnisse veranlaßt wovon ich weiß daß sie T[roxler] unangenehm waren da er meinen Fr[eund] sehr ehrt – Gut daß ich mir den Raum hier vorgeschrieben nicht wahr? lʼami diroit sans doute – cela ne finit pas! il sʼennuyeroit et –
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[1] H[am]b[ur]g July 16–[18]10
Nie sah ich mit größerer Sehnsucht einer Nachricht entgegen als seit dem mir die köstliche Hofnung des Wiedersehens ward. Warum l[ieber] S[chlegel] kein bestimtes Wörtchen, keine Zeile zur Erwiederung der mir so wichtigen Fragen weil von ihnen die Maasregeln für den Sommer abhängen sollten. – Jetzt – gehʼ ich in wenig Tagen zu meiner Tochter welche in B[remen] ihre Niederkunft abwartet – es sind nur 12 Meilen von hier und ich kann hier [2] wieder erscheinen sobald solche Stimme als die des gel[iebte]sten edelsten Freundes mich lockt. Bleibt dieses Wiedersehn noch verschoben bedarf ich dann nicht doppelt des tröstenden Wörtchens was die liebsten Hofnungen belebt? How is it possible so zu zögern?
und die Büste – die gel[iebte] Büste? – o ich bin eine böse Schuldnerin. Dem Fischer in W[ien] bin ich nach grade recht unhold – begeht er nicht einen Raub an D[einer] M[inna] durch die Zögerung? [3] Seit einiger Zeit habʼ ich von allen Seiten zu ihm geschickt und die Hofnung des Besitzes jenes geliebten Bildes wie des Erfolgs ist nun der Erfüllung bestimt nahe. Von Friedrich soll vor kurzem Nachricht an Perthes gekommen seyn – dieser wird ein Vaterländisches Museum herausgeben, ich höre er hat die „herrlichen Brüder“ zur Theilnahme aufgefordert – wird den[n] der g[eliebte] A[ugust] W[ilhelm] nicht auch dadurch meine Freuden insbesondere mehren wollen? und von seinen Arbeiten hieher schicken? Elise frägt mich immer, weshalb läst der herrliche Schl[egel] [4] den Shakespear liegen? Ach wir jammern desfalls zu viel, und könnten Seufzer die Fortsetzung bewirken – ich könnte ein Jahr meines Lebens dadurch opfern. Vor einiger Zeit war mirs als hättʼ ich die Kraft, Dir vorzuarbeiten – solche Ueberraschung dacht ich mir süß – aber entschieden würde die Feile so viele Mühe wie die ganze Arbeit machen – und dann wäre es ja verlorene Zeit! Wird aus der großen Reise nach Am[erika] nichts dann müssen wir auf jeden Fall im nächsten Jahre uns sehen – dieses möglich zu machen, gelingt mir gewiß, wenn der Wunsch des Freundes dem meinigen ganz begegnet.
Das Schicksahl der liebenswürdigen Fürstin Schwarzenb[erg] hat gewiß auch m[eines] Freundes innige Theilnahme geweckt; ist dieses dieselbe [die] mit der Fr.[au] v. S.[taël] correspondirte?
Ist B[aron] V[og]ht noch immer in Genf? Ich war kürzlich und mehr als einmal in dem reizenden Flottbek aber es kam mir verödet vor weil ich den geistvollen Besitzer oder vielmehr Eigenthümer vermiste. [5] Es ist ein köstlicher Aufenthalt – dort mit D[ir] – die Nachtigall belauschen – der stolzen Elbe mich erfreuen – im Schatten der hohen majestätischen Eichen weilen – o daß wäre schwelgen im wahren Sinne des Worts. Ich gebe keinesweges die Behauptung zu, daß nur im Süden lebendig die Fähigkeit sey, des Lebens sich zu freuen, wohl mögtʼ ich behaupten es mehre sich hier die Kraft „zu entbehren“ – und geht nicht aus dieser einzig jene hervor? – Wir haben in diesem Sommer (zwar wenig) aber so göttlich warme Tage gehabt, daß grade in jener reizenden Gegend, wo ich diese genoß [6] mir es war als fehlten nur die Flügel meinem Wesen, daß nie körperlich wohler war. – Wäre ein solches Flügelpaar erschienen – wen ich da belauscht – und dann erst überrascht hätte – ach daß ist zu nennen hier unnöthig.
Im Frühling hat die Händel jetzt Schütze uns manchen Genuß bereitet. Auf der Bühne gefiel sie zwar nur wenigen, aber in den mimischen Darstellungen um so mehr; doch gab sie deren nur eine weil ihr zu wenig Zuspruch und nicht die predendirte Huldigung ward. Der Mann mit dem sie jetzt (in der 4t oder 5t Ehe [7] verbunden) ist der Professor Sch[ütz] Sohn des Hofraths aus Halle; ein junger schöner Mann den M[adame] H[endel] durch Eifersucht tirannisiren soll – sie sind von hier nach Hollstein gegangen.
Tischbein wird sie vermuthlich zeichnen, er war kürzlich hier, und behauptete sie hätte ihr ganzes Leben damit verwandt, nach seinen Zeichnungen sich zu drapiren. Dieß hatte sie ihm nehmlich gesagt! – Sein refrain war aber nach jedem Worte „Ach wenn sie nur einen Hals hätte – Ihre Stellungen sind schön, aber, aber, kein Hals“ – dieß wurde immer wiederholt.
[8] Ist die Freude D[ich] zu lesen mir bald bestimt dann bittʼ ich es nach Bremen zu adressiren Mad. Schleiden née de Nuys – sonst direct hieher Königsstraße man ist so discret keine meiner Br[iefe] zu entsiegeln.
Ein ausgezeichnet sicherer Weg hieher ist indessen das Couvert von Frl. v. Knobel aus Oldenburg; eine Freundin welche bei mir lebt; sie bleibt während meiner Abwesenheit bey B[ertheau]. H[arriott] ist schon jetzt in B[remen] wo ihr Vater ist, und sie sehen wollte; er ließ sie holen und sein Dortseyn verzögerte meine Abreise. Hat Albertine mir den Verrath ihrer kleinen Unbesonnenheit vergeben? – er war mir nachher leid; weil ich grade um ihre ausgezeichnete Lebhaftigkeit so sehr sie liebte. Wo ist der schöne Albert? Der ganzen seltenen Familie wünscht herzlich empfolen zu sein die unwandelbare Freundinn ihres Freundes.
[9] Frl. K[nobel] ist recht sehr musicalisch – wir treiben viel music – ihre erste lecture in meinem Hause waren die treflichen Vorlesungen des gel[iebten] Sch[legel] – sie ist ganz entzückt davon wie ich; überhaupt ist hier nur eine Stimme über dieses tief durchdachte Meisterwerk.
G[oethes] Wahlverwandt[schaften] verbieten die denkenden Mütter ihren Töchtern durchaus – man lobt dagegen die „Farben“ ein Werk was ich noch nicht kenne. – Aus Berlin schreibt man mir er ziehe vieles von dort nach dem Carlsbad. – Auf dem nächsten Sommer will meine Freundinn Matt mir durchaus rendésvous im Carlsbad geben was sie fast jährlich besucht; sie bleibt fern wie nahe dieselbe Freundinn und ist im ganzen Sinne des Worts ein trefliches Weib. Im Februar Heft von Zachs Monathlicher Correspondenz stehen von ihrer Berechnung auf jener Reise. Ihre jüngste Tochter die schöne Minna deren Bild als Psyche gemahlt sie uns zeigte wird wahrscheinlich bald ihre Verbindung mit einem Grafen Finkenstein feyern naher Verwandter des Grafen der mit der ältesten verbunden ist.
Meine H[arriott] entwickelt sich sehr zu meiner Freude. Von ganzem Herzen immer, immer und immer dieselbe
M[inna]

Sie wissen doch daß Troxler mit einer schönen jungen Wienerin verheirathet in der Schweiz seinem Vaterlande lebt? Er ist ein guter Gesellschafter und schäzbar als Mensch, ich glaube Best hat der Zeit in W[ien] Misverständnisse veranlaßt wovon ich weiß daß sie T[roxler] unangenehm waren da er meinen Fr[eund] sehr ehrt – Gut daß ich mir den Raum hier vorgeschrieben nicht wahr? lʼami diroit sans doute – cela ne finit pas! il sʼennuyeroit et –
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