1838.
Theuerster Oheim!
In der Voraussetzung, daß es Ihnen nicht ungelegen und unangenehm ist, ein mal nach langer Zeit wieder etwas von mir zu hören, schreibe ich Ihnen diese Zeilen. Früher und öfter würde ich Ihnen Nachricht gegeben haben, aber da sich nichts Besonderes bei uns zutrug und Alles in seinem gewöhnlichen, ruhigen Gleise blieb, so fürchtete ich, meine Briefe möchten Ihnen zu uninteressant sein. Vor längerer Zeit erfuhr ich von Mamsell Marie, daß es Ihnen wohl ging, worüber ich mich innig freue und hoffe und wünsche von Herzen, daß Ihnen auch ferner die Kraft und Rüstigkeit Ihres Körpers und die seltne, Sie so sehr auszeichnende Thätigkeit [2] und Heiterkeit des Geistes erhalten werden mögen. Die Nachricht von dem Tode der Herzoginn von Broglie wird freilich Sie auf’s schmerzlichste ergriffen und tief betrübt haben, da Sie mit dieser ausgezeichneten Familie stets in so naher Verbindung und treuer Freundschaft lebten. Auch ich las die Anzeige davon in der Zeitung mit wahrer Theilnahme und bedaure aufrichtig, daß die geistvolle, liebenswürdige Herzoginn der Welt, besonders aber ihrem Familienkreise so früh entrissen worden ist. Auch in Bonn hat sich schon so Manches geändert, seit ich von dort weg bin, viele von den Personen, die ich kennen lernte, sind weggezogen, andre gestorben, so z. B. Johanna Schopenhauer, Professor Näke u. s. m. Jede Nachricht von daher hat noch ein besonderes Interesse für mich.
Hermann und mir ist es im Ganzen ziemlich gut gegangen, ausgenommen daß Hermann vor einiger Zeit eine Augenentzündung bekam und in Folge davon noch immer an Augenschwäche leidet. Seine Augen müßten eigentlich recht geschont werden, doch ist das eine üble Sache, nicht gut ausführbar, da er fleißig arbeiten und bei [3] den jetzigen kurzen Tagen auch noch die Abende zu Hülfe nehmen muß. Übrigens gereicht er mir jetzt zur Freude, da er in und außer dem Hause ein guter, artiger Junge ist, auch sagte mir der Director neulich, der ihm den Unterricht in den Sprachen giebt, daß er mit seinem Fleiß und seinen Leistungen recht wohl zufrieden sei und er sich besser entwickele, als er früher geglaubt hätte, daß es der Fall sein würde. Seit Ostern sitzt er in Unter-Tertia und hat Hoffnung, wenn er so fortfährt, nächsten Ostern nach Ober-Tertia versetzt zu werden. Ausgezeichnetes leisten wird er nun wohl niemals, dazu fehlen ihm die Anlagen, doch kann man das Unmögliche nicht von ihm verlangen und ich bin gern zufrieden, wenn er es durch beharrlichen Fleiß dahin bringt, einst ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu werden. Mit dem hiesigen Gymnasium sieht es leider traurig aus, es wird so schlecht besucht, daß zu fürchten steht, es lös’t sich von selbst auf. Die Ursache davon ist nicht in dem Lehrer-Personale zu suchen, was theilweise recht gut besetzt ist, sondern weil in einem kleinen Umkreise, so unverhältnißmäßig viele Gymnasien sind. Für mich wäre das [4] recht schlimm, da Hermann hier freie Schule hat und ich für ihn aus einer städtischen Kasse 40 rthr. Erziehungsgelder bekomme. Fiele das weg, so müßte jeder Gedanke an Studiren aufgegeben werden, da es mir so schon schwer genug wird, bei den, mit jedem Jahre wachsenden Ausgaben, mit einer so kleinen Einnahme auszureichen. Doch ich will nicht vor der Zeit sorgen, vielleicht hält sich das Gymnasium noch länger, als es jetzt den Anschein hat.
Von meiner Mutter aus Harburg bekomme ich ziemlich regelmäßig Nachrichten, obwohl ihr das Schreiben recht beschwerlich wird. Es ist zu bewundern, daß sie sich noch immer so hält, sie ist zwar altersschwach und fast beständig leidend, doch aber hat sich ihr Gesundheitszustand im Wesentlichen seit einigen Jahren nicht verschlimmert. Sogar den letzten, furchtbar kalten Winter hat sie besser überstanden, als wir glaubten, demungeachtet müssen wir immer auf ihr Ende gefaßt sein, da bei ihrem hohen Alter und ganz abgezehrten Körper ihr selbst eine Erkältung tödtlich werden kann. Meine Schwester befindet sich leider gar nicht gut, sie hat eine allgemeine Schwäche, besonders aber in den Beinen, so daß sie nicht allein über die Straße ge[5]hen kann. Der Arzt sagt, es sei eine Rückenmarkskrankheit, die, so viel ich davon gehört habe, immer gefährlicher Art und schwer zu heben sind. Es wäre recht hart für meine arme, alte Mutter, wenn sie es noch erleben müßte, daß meine Schwester vor ihr aus der Welt ginge, doch wollen wir noch das Bessere hoffen. Ihre beiden Kinder sind wohl und gewähren ihr in jeder Beziehung Freude und Trost.
Daß die Tante in Hannover kürzlich an einem Krebsschaden gestorben ist, woran sie viel gelitten hat, ist Ihnen, lieber Oheim, ohne Zweifel angezeigt worden. Meine Mutter ist ein bischen empfindlich darüber, daß ihr, als einer der nächsten Verwandten, gar keine Nachricht darüber zugekommen ist, sie hat es von fremden Leuten erfahren, die es in der Hannoverschen Zeitung gelesen haben.
Hermann hat mir die freundlichsten Grüße an Sie aufgetragen. An seinen, ihn so beglückenden Aufenthalt in Bonn, denkt er noch immer mit einem wahren Wonnegefühl zurück und hat auch selbst unbedeutende Kleinigkeiten nicht vergessen. Ihn beschäfftigt jetzt ein großer Reiseplan, der frei[6]lich erst in den großen Sommerferien 1840 zur Ausführung kommen soll. Der Superintendent Jüngst will nämlich mit seinen beiden ältesten Söhnen, die Hermann’s genauste Freunde sind, alsdann eine Rheinreise machen, bis Bonn theils mit der Post, oder dem Dampfschiffe, von da zu Fuß. Diesen wollte Herm: sich anschließen und dann, wenn Sie es erlauben, einige Tage bei Ihnen verweilen. Ich lasse ihm gern den Genuß im Voraus, da sich der Wirklichkeit vielleicht noch manche Hindernisse in den Weg stellen.
Mamsell Marie werde ich selbst noch einige Zeilen schreiben, da ich ihr freundliches Briefchen schon zu lange unbeantwortet gelassen habe. Sollte sich noch Jemand meiner erinnern, vielleicht Frau Augusti oder Frau Naumann, dann bitte ich mich zu empfehlen.
Zu lange schon, fürchte ich, habe ich Sie, geliebter Oheim, mit meinem weitläuftigen Briefe gelangweilt und sage Ihnen nun ein herzliches Lebewohl. Sollte Ihre Zeit es erlauben, dann würde es mich unbeschreiblich erfreuen, ein mal von Ihnen selbst zu hören, daß es Ihnen wohl geht und Sie meiner noch nicht ganz vergessen haben. Sonst aber ist Mamsell Marie wohl so gütig, mir einige Nachricht zukommen zu lassen. Ihre
Sie aufrichtig hochschätzende und
liebende Nichte Amalie Wolper.
[1] Ausführlich beantw.
d. 8ten Nov.