1841.
Theuerster Oheim!
Sehr angenehm ward ich durch Ihren freundlichen Brief aus Berlin vom 17ten Juli überrascht. Ich glaubte Sie dort so sehr beschäftigt, Ihre Zeit so mannichfach in Anspruch genommen, daß ich es gar nicht zu hoffen wagte, daß Sie für mich noch sich abmüssigen könnten. Um so dankbarer erkenne ich diese Güte. Daß der Aufenthalt in Berlin in jeder Beziehung zu Ihrer Zufriedenheit ausgefallen sein, erheiternd auf Ihr Gemüth, wohlthätig auf Ihre Gesundheit gewirkt haben mag, ist mein aufrichtiger Wunsch. Jetzt sind Sie gewiß längst in die Heimath zurückgekehrt und werden sich in Ihrer angenehmen Häuslichkeit wieder recht behaglich fühlen, besonders beim Eintritt der schlechteren Jahrszeit, denn der Aufenthalt auswärts, so viel Reiz er sonst haben mag, läßt doch immer manche Bequemlichkeit vermissen, besonders wenn man eine solche Einrichtung gewohnt ist, wie Sie sie haben.
[2] Hoffentlich haben Sie bei Ihrer Rückkehr die gute Mamsell Marie völlig hergestellt getroffen. Bei ihrer sonst so trefflichen Gesundheit werden die angewandten Mittel und Ruhe und Pflege gewiß von der besten Wirkung gewesen sein. Möchten die beunruhigenden Zufälle doch in diesem Winter nicht wiederkehren und das Übel ganz gehoben sein!
Für das Schicksal von Augusta von Buttlar hege ich, ohne dieselbe persönlich zu kennen, großes Interesse und wahre Theilnahme. Ich kann den Tod ihres Mannes als kein trauriges Ereigniß betrachten. Gewiß wird aber einige Zeit dazu gehören, ehe sie sich von den langjährigen traurigen Eindrücken erholt und wieder die Frühere wird. Am besten wird dieß zu bewerkstelligen sein, wenn Sie ihr erlauben, einige Zeit in Ihrem Hause zubringen zu dürfen. An mir selbst habe ich die wohlthätigen Wirkungen erfahren, ich glaubte nie wieder so heiter werden zu können, als ich es bei Ihnen war und auf meiner, mitunter etwas dornenvollen Lebensbahn, wird es mir immer eine freundliche Erinnerung und ich Ihnen zu stetem Dank verpflichtet bleiben.
Mir ist der Sommer unter mannichfachen Sorgen und Bekümmernissen vergangen. Die Schwäche meiner theuren Mutter hat doch bedeutend zugenommen, besonders leidet sie an Beängstigungen und gänzlicher Schlaf- und Appetitlosigkeit. Der traurige Gesundheitszustand mei[3]ner armen Schwester dauert fort und ist auch wohl nicht zu heben, da es eine Krankheit des Rückenmark’s ist. Sie ist beinah gelähmt und hat noch manche andre Plagen und Beschwerden, die fast noch schwerer zu tragen sind. Ich würde nun mit Gottes Beistand Kraft und Fassung genug haben, um zur Pflege und Erheiterung das meinige beizutragen. Mitunter ist mir das auch gelungen und gewährte mir ein ungemein wohlthuendes Gefühl. Leider bin ich aber um das Geschick und die Zukunft Hermann’s in steter Spannung und Gemüthsunruhe gewesen und jetzt so gänzlich darnieder gebeugt, daß ich selbst des Trostes und Rathes sehr bedürftig bin. Bei meiner kurzen Anwesenheit um Ostern in Hannover ward es mir klar, daß Hermann’s Prinzipal nicht nur ein herzloser, rauher Mann war, der weder Schonung noch Nachsicht kannte, sondern in seinem ganzen Wesen sprach sich so etwas Hämisches und Kleinliches aus, daß es mein Inneres empörte, mein einziges Kind in solchen Händen zu wissen. Hermann’s Gesundheit hatte auch, besonders dadurch, bedeutend gelitten und er war völlig entmuthigt durch die entwürdigende, sein Ehrgefühl unaufhörlich verletzende Behandlung. Schon damals stieg der Wunsch lebhaft in meiner Seele auf, ihn aus so drückenden Verhältnissen zu befreien, doch bot sich mir keine Aussicht [4] zu einem andern Unterkommen und so ermahnte ich ihn immer zum geduldigen Ausharren. Seine Briefe wurden jedoch immer mißmuthiger, sein Widerwille, dor[t] zu bleiben, größer und so hielt ich es für meine Mutterpflicht, mich ernstlich um eine andre Stelle zu bemühen. Es eröffnete sich mir vor ungefähr 3 Monaten auch eine Aussicht, ihn bei Frommann in Jena unterzubringen und da ich nur Gutes von dieser Familie gehört und die Bedingungen auch ziemlich günstig lauteten, so war ich nicht wenig erfreut darüber. Nun lag die Schwierigkeit darin, ihn von seinen jetzigen Verhältnissen loszumachen. Ich schrieb also und bat, ihn zu entlassen, da sie auch über Manches geklagt hatten, über seine stete Niedergeschlagenheit, seine Langsamkeit und sein kurzes Gesicht. Darüber wurden sie sehr aufgebracht, besonders da sie schon gehört, daß ich mich um eine andre Stelle bemüht, sie schrieben mir einen sehr unartigen Brief und bestanden darauf, Herm: müsse bleiben. Mit Gewalt konnte ich nun nichts ausrichten, da ich den Contract eingegangen war und mußte mich also darin finden. Ich gab die Stelle bei Frommann also auf, die jetzt gewiß längst besetzt ist. Unterdessen haben sie sich um einen andern Lehrling bemüht und da ihnen dieses gelungen, entlassen sie Her[m.] plötzlich ohne jeglichen Grund, als weil wir es ja gewünscht und sie sich so sehr darüber geärgert hätten. [5] Er wird nun in den nächsten Tagen hierher kommen, doch was soll weiter daraus werden? Den Buchhandel wird er wahrscheinlich ganz aufgeben müssen, denn diese Menschen schaden ihm, wo sie können. Hätte er ausgezeichneten Kopf, oder immer großen Eifer bewiesen, so könnte der Plan zum Studiren wieder aufgefaßt werden, doch damit ist’s nichts. Zum Militair ist er zu kurzsichtig und so bieten sich in jedem Fache Schwierigkeiten, da es mir gänzlich an Fürsprache und Connexionen fehlt. Dazu hat dieses Unglücksjahr in Hannover so unendlich vieles Geld gekostet und das ist nun Alles unnütz ausgegeben. Doch der Himmel wird mir ja seinen Beistand nicht versagen und mir auch ein mal wieder ruhigere Tage schenken.
Entschuldigen Sie es, geliebter Oheim, daß ich so weitläuftig geworden bin, doch liegt mir die Sache so sehr am Herzen und ich wollte Ihnen den Zusammenhang derselben gern offen darstellen, auch bin ich Ihrer Theilnahme gewiß.
Meine Mutter hat sich Ihres gütigen und für sie so schmeichelhaften Andenkens sehr gefreut und hat mir, so wie auch meine Schwester die herzlichsten Grüße aufgetragen.
Leben Sie recht wohl und erhalten Sie mir Ihr Wohlwollen.
Ihre
Sie aufrichtig liebende Nichte
Amalie Wolper.
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