• Friedrich Christian Diez to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Paris · Place of Destination: Bonn · Date: 01.08.1824
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich Christian Diez
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Paris
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 01.08.1824
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Richert, Gertrud: Die Anfänge der romanischen Philologie und die deutsche Romantik. Halle 1914, S. 59‒62.
  • Incipit: „[1] Paris den 1. August 24.
    Ew Hochwohlgeboren
    bitte ich mein bisheriges Schweigen nicht so zu deuten, als hätte ich die vielfachen, von [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-33442
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.6,Nr.13
  • Number of Pages: 2S., hs. m. U.
  • Format: 24 x 18,5 cm
    Language
  • German
[1] Paris den 1. August 24.
Ew Hochwohlgeboren
bitte ich mein bisheriges Schweigen nicht so zu deuten, als hätte ich die vielfachen, von Ihnen empfangenen Gefälligkeiten so bald vergessen. Der Grund lag einzig in der Ungewißheit meiner Lage, deren Entscheidung ich abwarten wollte. Da ich nun aber merke, daß dieß noch mehrere Tage dauern könnte, so darf ich, schon um des Auftrags willen, den Sie mir gegeben, mein Schreiben nicht länger aussetzen. Nach Fauriel habe ich mich aufs beste erkundigt und vernommen, daß er noch abwesend, vielleicht gar nach Griechenland gereist ist. Wegen Ihrer indischen Angelegenheiten wird Ihnen Schulz, wie er mich versichert hat, binnen 2–3 Tagen einen umständlichen Bericht abstatten. Soviel hat er mir einstweilen mitgeteilt, daß die Sache in der asiatischen Gesellschaft vorgekommen ist, daß sie indessen von Seiten des eifersüchtigen Chézy einige Hindernisse erfahren kann.
Nun erlauben Sie mir einige Worte über den Erfolg meiner Reise. Hase begegnete mir wie Allen mit großer Gefälligkeit; unaufgefordert versprach er, mir die Erlaubnis auszuwirken, Handschriften mitnehmen zu dürfen, einstweilen möchte ich auf dem Kabinet arbeiten; auch war er es, der mir die Manuskripte aussuchte. So arbeitete ich 10 Tage, freilich in den heißesten Tagesstunden und ohne nur Einmal vom Stuhl aufzustehen, indessen auch durch meine litterärische Ausbeute reich belohnt. Nun endlich traf ich Raynouard, den ich mehrmals vergeblich gesucht hatte. Ich übergab ihm Ihren Brief: er läßt sich Ihnen empfehlen und wird mir die 3 Bände seines Werkes für Sie mitgeben. Indessen war ich so vorsichtig, ihm nicht meinen ganzen Plan zu entdecken, da ich vor seinem Mißfallen nicht sicher war: ich zeigte ihm nur ein Stück vom Ganzen, das, wie ich dachte, ein gewisses, mit Eifersucht verwandtes Gefühl, welches Schriftstellern so leicht eigen ist, am wenigsten hervorrufen würde. Ich erklärte ihm nämlich, es sei meine Absicht, die Spuren der Nachahmung der Troubadours von Seiten der Minnesinger, die ich bis jetzt bemerkt, auch in den Handschriften weiter zu verfolgen und überhaupt die Dichtkunst derselben zu vergleichen. Allein an ihm hatte ich mich verrechnet. Mit entschiedenem Mißfallen erklärte er, in den Handschriften sei nichts mehr zu suchen, er habe mitgetheilt, was mitzutheilen sei, und seine Sache überhaupt so eingerichtet, daß nach ihm nichts mehr anzufangen wäre. Ich gab dieß zu und suchte ihm nur deutlich zu machen, daß meine Zwecke nicht philologisch, sondern rein litterärisch seien, zugleich erkundigte ich mich nach den Handschriften einiger Gedichte, von welchen er nur wenige Zeilen hat abdrucken lassen, und die mir zur Entscheidung der Frage: ob und inwiefern unter den Trou[2]badours eine Kunstgemeinschaft stattfand, von höchster Wichtigkeit sind; allein ich erhielt bloß zur Antwort: die Manuskripte seien in Paris. Nun, um doch etwas zu gewinnen, fragte ich nach Büchern als Bastero, der doch einiges Interesse für mich habe : Er ist auf der Bibliothek des Instituts, allein was wollen Sie damit anfangen? Das alles steht besser in meinem V. Band. Als ich mich nach der Aussprache erkundigte, erfuhr ich zu meinem Schrecken, es gäbe gar keine. Indessen erbot er sich, mir die schwierigen Stellen in seiner Sammlung wörtlich (vielleicht zu wörtlich?) ins Französische zu übersetzen, welches ich gerne annahm. Nun wurden wir gestört, auch hatte ich genug erfahren, um einzusehen, daß R. sein Werk wie die Muselmänner den Koran betrachte, als das, worin alles enthalten sei, und jede spätere verwandte Arbeit ais eine Ilias post Homerum. Ich hatte ihn in der Hoffnung besucht, eine Empfehlung an einen Conservateur zu erhalten, nun aber mußte ich, statt Unterstützung hoffen zu können, eher seine Gegenwirkung besorgen. Ich hinterbrachte Hase unsere Unterredung, auf dessen Vorschub ich immer noch rechnen durfte, denn tags zuvor, versicherte er mich, morgen mit Hr. Gail sprechen zu wollen. Er bedauerte den Stand der Sache, machte mich aufmerksam auf Raynouards Wichtigkeit und seine eigene Stellung diesem einflußreichen Manne gegenüber, und wie sehr man es ihm verargen könne, wenn er mir gleichsam hinter R.’s Rücken die Erlaubnis verschaffte, Handschriften zu Hause benützen zu dürfen. Ich sah also, daß ich einen Hasen vor mir hatte und entband ihn seines Versprechens. So stehen die Sachen bis heute. Morgen wende ich mich an Van Praed [?] um Bücher, schreibe noch einmal an Raynouard, der mich schlechterdings mißverstanden haben muß, und mache mich demnächst mit Méon bekannt, der, wenn man ihm durch Abschreibung an 60–80 francs zu verdienen giebt, der gefälligste Mann von der Welt sein soll, sonst aber steinhart. Mit Dacier ist unglücklicherweise garnichts anzufangen. Nötigenfalls wende ich mich an A. Rémusat, der zu Chézys Ärger an Langlès Stelle getreten ist. Klassische M. S. werden ohne Umstand ausgeliehen, einem Dr. Syllich (oder Sillig?) der eine Ausgabe des Propert. veranstaltet, wird nichts verweigert, allein, wo das Nationale ins Spiel kommt, wie Hase sagt, sind die Franzosen schwierig.
Den 31. August wird die kön. Bibliothek geschlossen, dann denke ich aber noch auf der des Arsenals zu arbeiten, die an Büchern der mittleren Litteratur sehr reich sein soll. – Übrigens lebe ich ganz angenehm hier; anfangs war es nicht zum Aushalten, aus zwei Gasthöfen vertrieben mich Schmutz und Wanzen; seit 14 Tagen wohne ich rue de Montmartre n. 64 hôtel d’Angleterre. Darf ich Ew. Hochwohlgeboren bitten, beiliegendes Briefchen zu besorgen? Dergleichen Freiheiten lassen sich wohl mit der theuren Post entschuldigen.
Mit wahrer Verehrung
verharre ich
Ew. Hochwohlgeboren
ergebenster
Fr. Diez.
[1] Paris den 1. August 24.
Ew Hochwohlgeboren
bitte ich mein bisheriges Schweigen nicht so zu deuten, als hätte ich die vielfachen, von Ihnen empfangenen Gefälligkeiten so bald vergessen. Der Grund lag einzig in der Ungewißheit meiner Lage, deren Entscheidung ich abwarten wollte. Da ich nun aber merke, daß dieß noch mehrere Tage dauern könnte, so darf ich, schon um des Auftrags willen, den Sie mir gegeben, mein Schreiben nicht länger aussetzen. Nach Fauriel habe ich mich aufs beste erkundigt und vernommen, daß er noch abwesend, vielleicht gar nach Griechenland gereist ist. Wegen Ihrer indischen Angelegenheiten wird Ihnen Schulz, wie er mich versichert hat, binnen 2–3 Tagen einen umständlichen Bericht abstatten. Soviel hat er mir einstweilen mitgeteilt, daß die Sache in der asiatischen Gesellschaft vorgekommen ist, daß sie indessen von Seiten des eifersüchtigen Chézy einige Hindernisse erfahren kann.
Nun erlauben Sie mir einige Worte über den Erfolg meiner Reise. Hase begegnete mir wie Allen mit großer Gefälligkeit; unaufgefordert versprach er, mir die Erlaubnis auszuwirken, Handschriften mitnehmen zu dürfen, einstweilen möchte ich auf dem Kabinet arbeiten; auch war er es, der mir die Manuskripte aussuchte. So arbeitete ich 10 Tage, freilich in den heißesten Tagesstunden und ohne nur Einmal vom Stuhl aufzustehen, indessen auch durch meine litterärische Ausbeute reich belohnt. Nun endlich traf ich Raynouard, den ich mehrmals vergeblich gesucht hatte. Ich übergab ihm Ihren Brief: er läßt sich Ihnen empfehlen und wird mir die 3 Bände seines Werkes für Sie mitgeben. Indessen war ich so vorsichtig, ihm nicht meinen ganzen Plan zu entdecken, da ich vor seinem Mißfallen nicht sicher war: ich zeigte ihm nur ein Stück vom Ganzen, das, wie ich dachte, ein gewisses, mit Eifersucht verwandtes Gefühl, welches Schriftstellern so leicht eigen ist, am wenigsten hervorrufen würde. Ich erklärte ihm nämlich, es sei meine Absicht, die Spuren der Nachahmung der Troubadours von Seiten der Minnesinger, die ich bis jetzt bemerkt, auch in den Handschriften weiter zu verfolgen und überhaupt die Dichtkunst derselben zu vergleichen. Allein an ihm hatte ich mich verrechnet. Mit entschiedenem Mißfallen erklärte er, in den Handschriften sei nichts mehr zu suchen, er habe mitgetheilt, was mitzutheilen sei, und seine Sache überhaupt so eingerichtet, daß nach ihm nichts mehr anzufangen wäre. Ich gab dieß zu und suchte ihm nur deutlich zu machen, daß meine Zwecke nicht philologisch, sondern rein litterärisch seien, zugleich erkundigte ich mich nach den Handschriften einiger Gedichte, von welchen er nur wenige Zeilen hat abdrucken lassen, und die mir zur Entscheidung der Frage: ob und inwiefern unter den Trou[2]badours eine Kunstgemeinschaft stattfand, von höchster Wichtigkeit sind; allein ich erhielt bloß zur Antwort: die Manuskripte seien in Paris. Nun, um doch etwas zu gewinnen, fragte ich nach Büchern als Bastero, der doch einiges Interesse für mich habe : Er ist auf der Bibliothek des Instituts, allein was wollen Sie damit anfangen? Das alles steht besser in meinem V. Band. Als ich mich nach der Aussprache erkundigte, erfuhr ich zu meinem Schrecken, es gäbe gar keine. Indessen erbot er sich, mir die schwierigen Stellen in seiner Sammlung wörtlich (vielleicht zu wörtlich?) ins Französische zu übersetzen, welches ich gerne annahm. Nun wurden wir gestört, auch hatte ich genug erfahren, um einzusehen, daß R. sein Werk wie die Muselmänner den Koran betrachte, als das, worin alles enthalten sei, und jede spätere verwandte Arbeit ais eine Ilias post Homerum. Ich hatte ihn in der Hoffnung besucht, eine Empfehlung an einen Conservateur zu erhalten, nun aber mußte ich, statt Unterstützung hoffen zu können, eher seine Gegenwirkung besorgen. Ich hinterbrachte Hase unsere Unterredung, auf dessen Vorschub ich immer noch rechnen durfte, denn tags zuvor, versicherte er mich, morgen mit Hr. Gail sprechen zu wollen. Er bedauerte den Stand der Sache, machte mich aufmerksam auf Raynouards Wichtigkeit und seine eigene Stellung diesem einflußreichen Manne gegenüber, und wie sehr man es ihm verargen könne, wenn er mir gleichsam hinter R.’s Rücken die Erlaubnis verschaffte, Handschriften zu Hause benützen zu dürfen. Ich sah also, daß ich einen Hasen vor mir hatte und entband ihn seines Versprechens. So stehen die Sachen bis heute. Morgen wende ich mich an Van Praed [?] um Bücher, schreibe noch einmal an Raynouard, der mich schlechterdings mißverstanden haben muß, und mache mich demnächst mit Méon bekannt, der, wenn man ihm durch Abschreibung an 60–80 francs zu verdienen giebt, der gefälligste Mann von der Welt sein soll, sonst aber steinhart. Mit Dacier ist unglücklicherweise garnichts anzufangen. Nötigenfalls wende ich mich an A. Rémusat, der zu Chézys Ärger an Langlès Stelle getreten ist. Klassische M. S. werden ohne Umstand ausgeliehen, einem Dr. Syllich (oder Sillig?) der eine Ausgabe des Propert. veranstaltet, wird nichts verweigert, allein, wo das Nationale ins Spiel kommt, wie Hase sagt, sind die Franzosen schwierig.
Den 31. August wird die kön. Bibliothek geschlossen, dann denke ich aber noch auf der des Arsenals zu arbeiten, die an Büchern der mittleren Litteratur sehr reich sein soll. – Übrigens lebe ich ganz angenehm hier; anfangs war es nicht zum Aushalten, aus zwei Gasthöfen vertrieben mich Schmutz und Wanzen; seit 14 Tagen wohne ich rue de Montmartre n. 64 hôtel d’Angleterre. Darf ich Ew. Hochwohlgeboren bitten, beiliegendes Briefchen zu besorgen? Dergleichen Freiheiten lassen sich wohl mit der theuren Post entschuldigen.
Mit wahrer Verehrung
verharre ich
Ew. Hochwohlgeboren
ergebenster
Fr. Diez.
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