Verehrtester Lehrer,
Empfangen Sie anliegend ein Exemplar meiner Bearbeitung der Bruchstücke des Kallinos, Tyrtäos und Asios, und schenken derselben eine günstige Aufnahme und nachsichtsvolle Beurtheilung. Am liebsten wäre es mir, Ihr unparteiisches Urtheil über die Deutsche Übersetzung kennen zu lernen, da ich mir keinen competenteren Schiedsrichter zu wählen weiß. Darf ich mich dabei Ihrer Zufriedenheit erfreuen, so gebe ich die Hoffnung nicht auf, mit der Zeit nicht nur ein Corpus poetarum elegiacorum Graecorum mit kritischem und exegetischem Commentar, sondern außerdem in Deutscher Sprache eine Geschichte der elegischen Poesie nebst metrischer Übersetzung der wichtigsten Überbleibsel zu bearbeiten. Gegenwärtig beschäftigt mich Tacitus am meisten, über dessen Lebensverhältnisse und Schriften ich neulich in der hiesigen Philomathie eine Abhandlung gelesen habe.
[2] Ich habe vorigen Sommer den Buchhändler Teubner in Leipzig beauftragt, Ihnen eine alte Schuld abzutragen. Er hat mir zwar die bewußte Summe abgezogen; ich weiß aber bis heute nicht, ob der Buchhändler Marcus in Bonn den Auftrag wirklich erfüllt hat.
Vielleicht werde ich mit der Zeit doch noch an den Rhein versetzt werden. Denn Joh. Schulze hat mir erst vor Kurzem geschrieben, wenn sich nicht bald in Schlesien zur Verbesserung meiner ökonomischen Lage eine Gelegenheit darböte, sollte ich als Director nach dem Rhein oder Westphalen kommen. Vorigen Winter wurde mir das Directorat in Conitz angetragen, welches ich aber ausschlug. Neulich hat mich Schulze angefragt, ob ich in gleicher Eigenschaft nach Essen gehen wollte. Diese Angelegenheit liegt aber noch in so weitem Felde, daß schwerlich etwas dabei heraus kommt.
Leben Sie recht wohl, und fahren fort, mir Ihr freundliches Andenken und Ihre wohlwollenden Gesinnungen zu schenken,
Ihr
treuergebenster
Schüler
Bach
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