Hochgeehrter Herr Schwager!
Nachdem ich seit so langer Zeit kein Schreiben mehr von Ihnen erhalten, war es mir so überraschend als angenehm, Ihre Handschrift, an mich gerichtet, zu erkennen. Wäre nur auch der Inhalt dieses Briefes eben so angenehm gewesen!
Friedrich befindet sich seit einigen Wochen, in Angelegenheiten der Nichte Buttlar und in ihrer Begleitung zu Dresden, wo die Geschäffte ihn bis zu Anfang des künftigen Monats festhalten werden. Sobald er zurückgekommen, werde ich, soviel an mir liegt, Sorge tragen, daß er Ihnen sogleich antwortet, und sobald als immer möglich, Ihre rechtmäßige Forderung befriedigt wird. Ich würde es auf der Stelle selbst zu thun übernehmen in Betracht, daß Sie wahrscheinlich das Geld dringend brauchen, und vielleicht selbst in augenblicklicher Verlegenheit seyn mögen, wodurch Sie zu der Unannehmlichkeit gezwungen sind, so dringend zu werden ‒ allein, ich habe während Friedrichs Abwesenheit nur gerade so viel in Cassa, als ich nothwendig bedarf, und kann über eine so bedeutende Summe nicht disponiren. Ihre Beschwerde, daß Friedrich Ihnen nicht geantwortet, muß mich sehr [2] befremden, indem ich sehr gewiß bin, daß er Ihnen geschrieben und sich noch eine kurze Frist erbeten hatte. Wenn Sie aber, wie es scheint, fürchten zu müssen glauben, als dächte Friedrich gar nicht daran, sich seiner Verpflichtung gegen Sie zu entledigen, so thun Sie ihm Unrecht, da dieses vielmehr eine seiner größten Sorgen ist und er noch vor seiner Abreise davon gesprochen hat, Ihnen eine Summe als ein a compte zuzusenden; wie es nun kömmt, daß dieß nicht geschehen ist, weiß ich jetzt nicht.
Daß Friedrich, als jüngster Sohn seiner Eltern, ohne die liebevolle Unterstützung seiner Geschwister nicht existiren, viel weniger seine so kostspieligen Studien hätte vollenden können, dieses ist ein Andenken, welches auf alle Zeiten in seinem Herzen mit dankbarster Anerkennung fortlebt, welches er wiederhohlt auch Andern mit großer Rührung erzählt, und bedarf gewiß diese Wohlthat keiner Erinnerung, die Ihrem Zartgefühl sehr schwer fallen mußte. Diese letzte neue Schuld, von welcher jetzt die Rede, ist nicht allein eine Ehrenschuld, sondern eine Schuld der brüderlichen Liebe und Friedrich ist weit entfernt, sie zu verleugnen oder länger auf sich lasten zu lassen, als die höchste Nothwendigkeit es unumgänglich macht. Haben Sie gefälligst noch eine kleine Geduld, es soll in kurzer Zeit die Schuld getilgt seyn. Allerdings ist Fr. Gehalt ansehnlich, geht aber, ungeachtet der sehr einfachen Lebensweise, bey zunehmenden Bedürfnissen der Jahre, und den Erfordernissen der Gesundheit, und einer anständigen Einrichtung in der großen Stadt, dennoch [3] rein auf. Die Summen, welche er seit zwey Jahren durch den Buchhandel und den (sic) Vorlesungen erwarb, reichten nur eben hin, um einen Anfang zu machen, seine Verpflichtungen aus früherer Zeit gegen Buchhändler und an Fremden zu decken, die er gezwungen war einzugehen, als er weder einen großen Gehalt, noch Einkünfte anderer Art besaß und diese Zeit hat länger gedauert, als die jetzige einträglichere dauert. Obschon Friedrich stets darauf bedacht war, Ihnen seine Schuld zu zahlen, so hatte er freilich nicht geglaubt, daß diese zu den Ersten gehören müsse, die er abzutragen hat. Wenn er in seiner Thätigkeit so fort fährt, als in diesen zwey letzten Jahren der Fall war, so hoffe ich zu Gott, der ihm seine Kraft und Gesundheit erhalten möge, daß er bald alle seine früheren Schulden getilgt, und sein Leben geordnet haben wird. Die Reise nach Dresden ist ein Opfer, welches unserer lieben Auguste zu bringen Noth that. Trotz allen Mahnungen und wiederhohlten Schreiben erhielt sie aus Dresden niemals eine Aufklärung über ihre Erbschaft, die in den Händen der Advokaten steckt; sie konnte weder den Stand der ganzen Angelegenheit noch etwas Bestimmtes über ihre etwanigen Einkünfte zur Bestreitung der Erziehungskosten der Kinder erhalten; mit vieler Mühe erhielt sie nur, ohne alle weitere Berechnung, einigemal eine Summe als Vorschuß, die sie kaum anzunehmen sich getraute aus Besorgniß, daß sie den ihr zukommenden Interessen des Kapitals nicht angemessen seyn und diese ungewissen Vorschüsse einst das ganze Kapital [4] verschlingen möchten. Alle Sachverständigen hier riethen zu einer persönlichen Einschreitung; und da Buttlars Begleitung nicht wünschenswerth war, viel eher schädlich hätte einwirken können, und die arme Frau bey ihrer großen körperlichen Schwäche und der wohl auch meist daher entspringenden Zaghaftigkeit es nicht wagen konnte, ein solches Geschäft allein mit gutem Erfolg zu unternehmen, so blieb kein anderer Rath, als daß Friedrich sie hin begleitete, um ihre Bekümmerniß, so viel an ihn lag, zu erleichtern und ihre trauernde Seele aufzurichten. Wirklich soll alles auch recht gut dort gehen und durch angesehene Freunde, welche Friedrich ihr zu erwerben so glücklich war, wird er es dahin gebracht haben, daß ihr Prozeß beschleunigt, und sie wenigstens in ein gutes Vernehmen mit dem Vormund ihrer Kinder kommt und auch eine endliche Berechnung über den wahren Stand ihrer Angelegenheit zu erhalten hofft.
Unterdessen ist Friedrich aufgefordert worden, dort die Zeit seines Aufenthalts zu Vorlesungen zu benutzen; und wirklich hat er vor dem gebildetern Theil des Publikums schon zu lesen angefangen. Er hat mir noch nicht geschrieben, welches der Inhalt dieser Vorlesungen seyn wird, wahrscheinlich aber wird es Philosophie der Sprachen sein. Es sind bloß gesellschaftliche Vorträge, die ihm kein Honorar eintragen, doch bleibt ihm dann die Herausgabe derselben, wo es ihm dann gewiß gelingen wird, seine Schuld bey Ihnen sogleich abzutragen. Die Kinder der Nichte sind unterdessen bei dem Vater zurück[5]geblieben, wenigstens Marianne, die älteste; Adelheid, die jüngste, die seit einiger Zeit kränkelt und sehr leidend ist, habe ich während der Abwesenheit der Mutter zu mir genommen, um sie zu pflegen und so muß freilich Eins dem Andern zu Hülfe kommen, und ein jeder thun, was er kann, wenn er auch nicht immer thut, was er sollte.
So viel mir bekannt ist, hat Auguste Ihnen zuletzt geschrieben, Ihnen für das Geschenk Ihrer kleinen Schrift „Berichtigung“ [et cetera] zu danken; sollte sie seitdem Ihnen wieder eine Antwort schuldig geworden seyn, so entschuldigen Sie die arme Frau mit gütiger Nachsicht; sie ist mit Geschäften und Arbeiten aller Art so überhäuft, daß sie nicht viel zum Schreiben kommt, und ohnehin wissen Sie wohl, wie ungern die Künstler schreiben mögen.
Leben Sie wohl, Gott erhalte Sie, ich bitte, uns in Ihrer brüderlichen Gewogenheit empfohlen sein zu lassen. Mit unveränderter Gesinnung und Hochachtung
Ihre Schwägerin
Dorothea v. Schlegel,
geb. Mendelsohn.
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