1834.
Theuerster Freund!
Empfange meinen schönsten Dank für die mir zugesandte Schrift. Ich erhielt sie, so wie deinen Brief, vor wenigen Tagen; u habe bereits den größten Theil gelesen, wiewohl ich die Zeit dazu meinen gelehrten Arbeiten abstehlen muß. Der Vf. liefert dadurch einen rühmlichen Beweis seiner geschichtlichen u sprachlichen Studien. Überall zeigt sich gesundes Urtheil u praktischer Sinn; die Darstellung ist lebhaft u anziehend; die Schreibart ist klar und elegant: Incorrectheiten habe ich bei dieser ersten Lesung nur wenige bemerkt. Mich dünkt, diese Schrift müßte deinem Neffen den Weg zu einem vortheilhaften Eintritt in den Russischen Staatsdienst öffnen. Die Hauptsache wäre freilich, sie in die Hände des Kaisers von Rußland zu bringen und seine Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Dazu muß es ja in Berlin an Mitteln nicht fehlen. Man muß die zu vertheilenden Exemplare nicht sparen.
[2] Ich werde unverzüglich nach Paris schreiben, die Aufmerksamkeit meiner Freunde darauf zu lenken suchen, damit eine Anzeige in Pariser Blättern gemacht werde. Aber von Berlin aus kann kräftiger dazu gewirkt werden. Warum nicht gerade zu der französischen Gesandtschaft einige Exemplare, insbesondre eins mit der Adresse des Herzogs von Broglie, übergeben? Und so auch bei den übrigen Gesandtschaften, der Canzlei der auswärtigen Angelegenheiten u. s. w. Die Hauptsache ist, die Schrift in die Hände der Männer vom Fach zu bringen. Auswärts gedruckte Französische Schriften kommen in Frankreich durch den Buchhandel nur schwer oder gar nicht in Umlauf, weil ein schwerer Zoll darauf lastet. Die Buchhändler können sie nicht aufs Geratewohl kommen lassen, weil sie Gefahr laufen, Transportkosten u Zoll nicht ersetzt zu bekommen; u sie werden zu wenig bekannt, um ausdrücklich bestellt zu werden.
Im Äußern hätte sich manches bequemer u vortheilhafter einrichten lassen: Abtheilung in Capitel, [3] Rubriken über den Seiten, Jahrszahlen am Rande, statt im Text, eine ausführliche Table des matières, auch manche Veränderungen in der Interpunction, die Ausrufungszeichen u Gedankenstriche weg u. s. w.
Ich bemerke hier nur ein paar Kleinigkeiten. Créance mehrmals für croyance, appellation für appel, réformation für réforme; die Böhmen wollen auch nicht Bohémiens sondern Bohèmes genannt seyn, weil jenes Zigeuner bedeutet. Die meisten Deutschen, welche Französische Schriften herausgeben, lassen sie zuvor von Kennern durchsehen. Dieß habe ich sonst auch immer gethan, neuerdings aber nicht mehr nöthig gefunden. Dagegen liegt das Dictionnaire de lʼAcademie, Caminade u. s. w. immer aufgeschlagen auf meinem Pult, wenn ich französisch schreibe.
Hast du meine Réflexions sur lʼétude des langues asiatiques gelesen? Sie erschienen bereits im J. 32 u ich habe mehrere Exemplare nach Berlin gesandt. Wenn es dich oder deinen Neffen interessiren kann, so will ich dir gern ein Ex. schicken.
Im Journal des Débats zwischen Mitte Oct. u Schluß des Januars steht von mir eine ausführliche [4] Abhandlung über die Ritter-Romane des Mittelalters, aus Gelegenheit der Schrift von Fauriel, in fünf Nummern, mit A. W. S. unterzeichnet. Dieß würde dich des Inhalts wegen interessiren.
Nun lebe recht wohl. Grüße deinen Neffen bestens von mir, u wünsche ihm von meinetwegen Glück zu seinem ersten Versuch als Schriftsteller. Unveränderlich
Der deinige
AWvSchlegel
Denke doch ja an die Herausgabe deiner Werke im Kupferstiche. Schaffe mir Geld für die Lithographie. Die Ähnlichkeit des Porträts ist hier von Freunden u Bewunderern deines Bruders, u zwar von solchen, die ihn vor nicht langer Zeit gesehen hatten ganz anders beurtheilt worden. Wenn ihr damit nicht zufrieden seyd, so schafft ein besseres. Das vor dem Leipziger Almanach ist über alle Maßen scheuselig.
Die Schrift welche zu Anfang des Briefes erwähnt u beurtheilt ist , ist das Buch, La Russie e la Pologne von meinem Neffen, im Jahre 1834 erschienen. Fr. Tieck